nd-aktuell.de / 07.03.2018 / Kultur / Seite 12

Barenboims Begegnungsstätte

Pierre-Boulez-Saal und -Ensemble feierten ihr einjähriges Bestehen mit Werken von Eisler, Schubert und Schönberg

Stefan Amzoll

Das war ein glücklicher, erhellender Nachmittag. Keine hohe Feier sollte das Konzert sein, wohl aber Ausdruck von Glück und Stolz und hohem Künstlertum. Der Pierre-Boulez-Saal, architektonisch und klanglich ein Wunder, ist nun ein Jahr jung. Das Pierre-Boulez-Ensemble desgleichen.

Viel hat sich ereignet in den vergangenen zwölf Monaten. Der Namensgeber stand anfangs im Fokus. Werke des großen Franzosen Boulez (1925 - 2016) und anderer lebender wie toter Zeitgenossen kamen zur Aufführung und fanden erstaunlichen Zuspruch. Die Erinnerung an den Komponisten und Dirigenten ist nicht geblichen. Dann der Alltagsbetrieb mit dem Akzent, Musikern von allen Kontinenten die Chance zu geben, zu lernen und sich zu zeigen. Viele kamen, und es stellte sich heraus, sie brauchen den Ort, ja dieser sei für sie unverzichtbar.

All das verdankt sich Daniel Barenboim. Der ist ja nicht nur bewunderter Staatskapellenchef und gefragter Mentor junger Künstler, er ist zugleich Internationalist im politischen wie musikalischen Sinne. Der Boulez-Saal und die Bildungsstätte im Haus, so will er es und streitet dafür, sollen vorbildhaft kunst- und friedenstiftend wirken. Also wird der Ort auch nach einem Jahr seine Tore weit offen halten für Studierende, Musiker, Orchester, Chöre, Ensembles, Dirigenten aus aller Welt. Eine Ausstellung im Rang-Foyer dokumentiert seine Geschichte eindrucksvoll in Wort und Bild.

Dass Berlins Konzertleben hierdurch reicher geworden ist, braucht nicht betont zu werden. Alle mit der Staatskapelle verschwisterten Berliner Klangkörper entdeckten diesen grandiosen Aufführungsort für sich und gastierten mit auf die Gegebenheiten des Ovals zugeschnittenen Produktionen. Fast jedes Konzert ist ausverkauft (irgendwann werden auch die hohen Kartenpreise fallen wie die Werte an der Börse).

Was wäre Besseres denkbar gewesen, als Bilanz zu ziehen mit einem Konzert? Obendrein mit drei farbigen Variationswerken, denen Exposition, Veränderung und Entwicklung eingeschrieben sind? Variation als Äquivalent auf die geschichtliche Disposition des Instituts? So kann man das durchaus sehen. Und so sahen es die Planer vielleicht auch.

Kurzum: Was jeder Komponist in seinem Repertoire hat, sofern ihm die klassischen Kategorien noch etwas gelten, die Metamorphose, gab den Ton an. Drei Werke erklangen. Barenboim selbst dirigierte die Eckwerke von Hanns Eisler und Arnold Schönberg. Bei dem in der Mitte, Franz Schuberts Variationen für Flöte und Klavier über das Lied »Trockene Blumen« e-moll, begleitete er Mathieu Dufour am Piano. Der Schubert lief bald eine halbe Stunde lang. Er beginnt versonnen, traurig, verharrt lange Zeit in immergleichen moderaten Ausdruckswerten und steigert sich zu variativer Fülle im Schlussteil. »Trockene Blumen« stammt aus seinem Liederzyklus »Die schöne Müllerin«.

Große Überraschung der Eisler zu Beginn: »Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben«, Variationen für Flöte, Klarinette, Violone (Viola), Violoncello und Klavier op. 70, Arnold Schönberg gewidmet zu dessen 75. Geburtstag. Eisler war bekanntlich streitbarer Schüler des Schöpfers der Oper »Moses und Aron«. Überraschung, weil Barenboim sich um Eisler-Werke bislang niemals geschert hat und, schlimmer, der große Boulez für Sachen, wie sie der hochgescheite Hanns Eisler gemacht hat, nichts als Verachtung übrig hatte. Es gab eine glänzende Aufführung.

Nicht minder gelungen »Pierrot lunaire« op. 21, das Schönberg 1912 schrieb und mit dieser kühnen Innovation die gesamte spätere vokal-instrumentale Moderne beeinflusste. Eisler, nachdem er seinem Lehrer nicht mehr folgsam war, bezeichnete den »Pierrot« als »alberne Provinzdämonik«. Das war völlig daneben und politisch motiviert. Der »Pierrot« in der Version mit dem Boulez-Ensemble und der Sängerin/Sprecherin Donatienne Michel-Dansac zu hören, war ein Ereignis ersten Ranges. Nur die besten Interpretinnen können den Sprechgesangspart in seiner ganzen Ideenfülle und Ausdruckdichte bewältigen.

Das Stück, hochexpressiver Wechselgesang zwischen Pierrot und dem kalten, kranken, traurigen, erschöpften, fiebrigen Mond (Schönberg vertonte dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds »Pierrot lunaire«), dauert an die 30 Minuten. Einige Hörer verließen den Saal. Die anderen durften eine der besten Aufführungen erleben, die es in den letzten zwanzig Jahren in der Hauptstadt von diesem Stück gab.

Ein Jahr Boulez-Saal, überaus würdig die Feier.