nd-aktuell.de / 08.03.2018 / Politik / Seite 3

Wenn wir uns nicht selbst befreien...

...bleibt es für uns ohne Folgen: Die LINKE-Chefin Katja Kipping über Feminismus von links und von rechts

Elsa Koester
Das vergangene Jahr war aus feministischer Perspektive vor allem von der MeToo-Debatte über sexualisierte Gewalt geprägt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die ersten Posts dazu gelesen haben?

Ich habe die Beiträge als ermächtigend erlebt. Frauen machen die Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt nicht alleine mit sich aus, sondern kommen zu einem »Wir«.

Sie waren nicht erschrocken über die massive Verbreitung von sexualisierter Gewalt?

Nein, ich war nicht überrascht, weil ich die Statistiken zu sexualisierter Gewalt schon kannte. Ich wusste, dass es viele solcher Erfahrungen gibt, vor allem im häuslichen Kontext - und im Bereich der Erwerbsarbeit.

Haben Sie an eigene Erfahrungen gedacht?

Ich persönlich habe so eine Erfahrung nicht machen müssen - zum Glück.

Gibt es eine Geschichte, die Sie am meisten schockiert hat?

Viele. Aktivistinnen haben mir etwa von Internet-Foren berichtet, in denen Männer zu »Pickup-Artists« geschult werden: Sie lernen, wie sie Frauen auf jeden Fall rumkriegen. Da steht nicht mehr die besondere Verführung im Mittelpunkt, sondern in letzter Konsequenz geht es um eine Anleitung zu Vergewaltigung. Als Sportart.

Manche Linke werfen der Debatte vor, dass es bei MeToo nicht um materielle Geschlechterfragen gehe, sondern nur um kulturelle Fragen. Teilen Sie diese Kritik?

Was gibt es denn Materialistischeres als das Recht auf einen unversehrten Körper? Die aktuelle Auseinandersetzung um Paragraf 219a, der die Information von Ärzt*innen über Schwangerschaftsabbrüche verbietet, ist auch ein materieller Kampf um den Körper der Frau.

Ein Kampf, der von Rechts begonnen wurde.

Ja. Es gibt eine konterrevolutionäre Mobilisierung von Rechts, die einen schon fast vergessenen Paragrafen nutzt, um Ärzt*innen zu kriminalisieren. Es ist wichtig, unmittelbar darauf zu reagieren - und 219a abzuschaffen. Dafür gibt es aktuell wunderbarerweise eine breite Allianz von der FDP über SPD und Grüne bis hin zur LINKEN im Bundestag. Die SPD hatte ja in vorauseilender GroKo-Disziplin kurzeitig ihren eigenen Antrag zur Abschaffung wieder zurückgezogen. Jetzt, wo sie sich offenbar besonnen und den Antrag wieder eingebracht hat, bin ich wirklich optimistisch, dass die Abschaffung auch gelingen kann.

In der 219a-Debatte im Bundestag haben sich sowohl SPD als auch Grüne, FDP und LINKE auf Paragraf 218 gestützt, der Abtreibung grundsätzlich unter Strafe stellt - es sei denn, die Frau unterzieht sich einem Prozedere von Zwangsberatungen. Ist die linke Forderung vergessen, 218 abzuschaffen?

Nein, die LINKE kämpft weiter um die Abschaffung von 218 und das generelle Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Aber das, was gerade akut die Umsetzung gefährdet, ist der Vorwurf an die Ärzt*innen, illegale Werbung für Abbrüche zu betreiben. Die Zuspitzung auf 219a ist eine taktische Entscheidung.

Geht man damit nicht die Gefahr ein, dass §218 sich manifestiert und die feministische Debatte insgesamt nach rechts rutscht?

Rosa Luxemburg hat vor über 100 Jahren die revolutionäre Realpolitik propagiert: Man muss das zu dem Zeitpunkt Mögliche durchsetzen und gleichzeitig zeigen, dass es um etwas viel Grundlegenderes geht, um die Überwindung aller Unterdrückungsverhältnisse. Natürlich dürfen wir nicht in Abwehrkämpfen verharren. Und trotzdem ist es notwendig, auf rechte Angriffe zu reagieren.

War die Blockade des AfD-Frauenmarschs in Berlin in diesem Zusammenhang legitim?

Beim sogenannten Frauenmarsch wollten Rechte unter dem Deckmantel von Frauenrechten Rassismus verbreiten. Die friedliche Blockade steht symbolisch dafür, dem Rechtsruck nicht nachzugeben.

Was macht Sie so sicher, dass es der AfD nur um eine Instrumentalisierung von feministischen Anliegen für Rassismus geht - und nicht tatsächlich um Frauenrechte, wenn auch national gedacht?

Die Rechten entdecken das Thema sexualisierte Gewalt erst, wenn die Täter nicht Deutsche sind. Solange die Täter Deutsche sind, schweigen sie zu diesem Thema - oder tun es als links-grün-versifften Genderwahn ab.

Es gibt also keinen rechten Feminismus?

Es gibt einen vermeintlichen Feminismus rechter Feuilletons, den ich »Instant-Feminismus« nenne: Er lässt sich schnell aufgießen, schmeckt schrecklich und hält nicht, was er verspricht. Diejenigen, die noch bis vor kurzem die Frauenquote als Ende des Abendlandes bekämpft haben, entdecken angesichts von Geflüchteten aus dem so genannten Morgenland auf einmal das Thema Frauenrechte.

Sind patriarchale Strukturen in der muslimischen Community in Deutschland nicht tatsächlich ein Problem, dem sich auch die LINKE annehmen muss?

Jede Form von Gewalt gegen Frauen muss entschieden verfolgt werden. Die Herkunft der Täter darf dabei kein Bonus, aber eben auch kein Malus sein. Es kann nicht sein, dass Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem auf den Islam abgeschoben wird. Rechte erwecken mit ihrer Propaganda den Eindruck, wir müssten nur alle Flüchtlinge ausweisen und dann hätten wir kein Problem mehr mit sexueller Gewalt. Das ist falsch.

Tut sich die LINKE nicht trotzdem schwer damit, Sexismus in der muslimischen Kultur zu kritisieren, während es ihr in der westlichen Kultur leichter fällt?

Für alle Befreiungskämpfe gilt, was Peter Weiss in das »Ästhetik des Widerstandes« geschrieben hat: Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen.

Emanzipation kann man nicht von außen erzwingen?

Genau. Und man kann nicht für andere beschließen, wie Emanzipation aussieht. Wenn Fraueninitiativen in islamischen Ländern sich stark machen für das Recht, Auto zu fahren, oder gegen Vollverschleierung kämpfen, sollte die Linke diese Kämpfe unterstützen. Sie sollte sich aber nicht anmaßen, jetzt schon zu wissen, was für die Frauen das Beste ist. Wenn eine muslimische Frau an einem Strand von einem Polizisten gezwungen wird, ihren Burkini auszuziehen, ist das das Gegenteil von Emanzipation.

Sie bezeichnen sich als marxistische Feministin. Spielen für Sie Diskussionen um den Burkini gegenüber Verteilungskämpfen um Sorge- und Erwerbsarbeit eine untergeordnete Rolle?

Nein. Man kann und darf nicht von jeder einzelnen Maßnahme verlangen, dass sie alle Ungerechtigkeiten auf einmal auflöst. Aber natürlich geht es im radikalen Feminismus am Ende um die Wurzel - um die Verteilung der Tätigkeiten, um die Kämpfe um Zeit. Hier machen wir gerade große Fortschritte.

Welche Fortschritte meinen Sie?

Ich denke an die wachsende Begeisterung für die von Frigga Haug entwickelte Vier-in-einem-Perspektive. Demnach soll im Leben von Frauen und Männern gleichermaßen Zeit sein für vier gleichberechtigte Tätigkeiten: Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, politische Einmischung und Muße. Oder an die Mobilisierungen in der Pflege - einem Bereich, der noch eher von Frauen dominiert ist.

Die LINKE engagiert sich zum Frauenkampftag bundesweit in 500 Aktionen gegen den Pflegenotstand. Inwiefern ist das ein feministischer Kampf?

Hier wird die dem Patriarchat innewohnende Geringschätzung der Arbeit mit Menschen erfolgreich in Frage gestellt. Zusammenhänge mit dem Feminismus gibt es aber auch bei den Tarifkämpfen der IG Metall um die Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden.

Inwiefern?

Dass die Forderung plötzlich so stark vertreten wird, liegt an Umfragen unter Beschäftigten. Sie haben gezeigt, dass auch Männer sich mehr Zeit mit der Familie wünschen. Das ist ein Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungen: Die Vorstellung, dass die Frau die ganze Kinderarbeit wegträgt und Papa nur am Sonntag mal da ist, ist überholt.

Es geht also auch bei Verteilungskämpfen um Identitätsfragen?

Die Aufspaltung in soziale und kulturelle Linke ist falsch. Es gab eine Linke der Industriemoderne, die gut war in Fragen der Umverteilung und schlecht in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und der Ökologie. Dann gab es die Linke der Postmoderne, die war gut in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und der Ökologie, aber nachlässig, was die soziale Frage anbelangt. Beide hatten Stärken. Es kommt darauf an, die Stärken zusammenzuführen: zur Linken der Solidarischen Moderne.

Von außen hat man den Eindruck, dass das in der LINKEN nicht gerade gelingt: die »industriemoderne« Linke um Sahra Wagenknecht und die »postmoderne« Linke stehen sich unversöhnlich gegenüber.

In den Feuilletons entspinnt sich um diese Kontroverse eine Debatte, die ich verheerend finde. Sie wird soziokulturell geschmäcklerisch geführt: um die Frage, was man sympathischer findet, Bier- oder Bionadetrinker, Bockwurst- oder Bioesser. Dieses Geschmäcklertum ist zutiefst unmarxistisch.

Aber Geschmack ist doch nichts Individuelles: Es geht in der Debatte um Fragen des Habitus und darum, ob ein proletarischer Habitus auch in der Linken zu Diskriminierung führt.

Es handelt sich hier um eine Ästhetisierung der Klassenfrage. Natürlich gibt es Ablehnungen zwischen verschiedenen linken Milieus - gegenseitig. Aber sie dürfen auf keinen Fall zum politischen Programm werden. Bernd Riexinger und ich verfolgen das Leitbild der verbindenden Partei.

Was heißt das?

Es geht darum, die gemeinsamen Interessen zu unterstreichen. Wir freuen uns, dass die LINKE für ein junges, weltoffenes Milieu attraktiv geworden ist - aber wir konzentrieren uns gleichermaßen auf Beschäftigte und Erwerbslose. Ich selbst bin regelmäßig frühmorgens vor dem Jobcenter, um mit den Menschen ein Gespräch zu suchen, die von Hartz IV betroffen sind.

Warum wird das nicht gesehen?

Gute Frage. Diejenigen, die die soziale Linke und die kulturelle Linke gegeneinander aufhetzen, spielen dem Neoliberalismus in die Hände, und damit auch der Rechten.

Machen Sie hier auch den Medien einen Vorwurf, den Richtungsdebatte als Machtkampf zu inszenieren und für Schlagzeilen zu nutzen?

Manchmal glaube ich schon, dass bei denjenigen, die die Überschriften gesetzt haben, ein Softporno im Hintergrund ablief.

Die Kontroverse wurde auf zwei gegeneinander kämpfende Frauen reduziert, meinen Sie.

Natürlich gehört Personalisierung zum politischen Geschäft. Der LINKEN nützt es jedoch mehr, die Kontroverse in der Sache zu bearbeiten, für Medien ist leider oft die Seifenoper interessanter.

Früher hatten Feministinnen die Hoffnung, dass sich Machtkämpfe in Führungspositionen dann erledigen, wenn sie von Frauen bekleidet werden - die sensibler mit inhaltlichen Auseinandersetzungen umgehen. War das naiv?

Es gibt keinen Automatismus, dass alles sofort diskursiver läuft, wenn eine Frau an der Spitze ist. Aber ich nutze das Führungsamt durchaus, um Frauenzusammenhänge zu stärken und Feministinnen in der Partei zusammen zu bringen.

Sahra Wagenknecht ist nicht Teil davon?

Ich kann nicht für Sahra sprechen. Für feministische Politik muss man aber auch keine Frau sein. Ich finde zum Beispiel den Einsatz, den mein männlicher Ko-Vorsitzender Bernd für die Kampagne gegen den Pflegenotstand zeigt, für Frauenkämpfe sehr wichtig.

Vor einem Jahr sagten Sie zum Frauenkampftag, das Patriarchat sei ins Wanken gekommen. Sind sie heute noch immer so optimistisch?

Schwierig. Die gesellschaftliche Situation ist offen, nicht nur in feministischen Fragen. In jede Richtung: im denkbar schlimmsten Sinne, aber auch im Sinne einer neuen Dynamik von links.