Britische Bahn bald wieder staatlich?

Weichenstellung für Pilotversuch in Schottland / Labour befürchtet Verluste bei Regionalwahl

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Während die Parteien der Bundesregierung über Details eines Gesetzentwurfs zur Privatisierung der Deutschen Bahn verhandeln, ist in Großbritannien eine mögliche Wiederverstaatlichung der Bahnen und die Zusammenführung von Fahrweg und Betrieb unter staatlicher Regie in aller Munde. Alle drei Bahngewerkschaften haben diese Überlegungen begrüßt.

Ausgelöst wurde die Debatte durch einen Aufmacher in der »Times« vom vergangenen Donnerstag. Danach soll es Ende 2006 geheime Gespräche zwischen dem designierten Vorstandsvorsitzenden der unter öffentlicher Regie stehenden Infrastrukturbetreibergesellschaft Network Rail, Iain Coucher, und schottischen Labourpolitikern gegeben haben. Thema: ein Politprojekt für eine Rückführung weiter Teile des Schienenverkehrs in die öffentliche Hand.
Seit 2004 wird der Schienenpersonenverkehr in Schottland von der privaten Betreibergesellschaft First ScotRail abgewickelt, deren Franchise-Verträge mit den staatlichen Behörden im Jahre 2011 auslaufen. Der »Times« zufolge soll Coucher die Bereitschaft von Network Rail signalisiert haben, ab 2011 den schottischen Regionalverkehr auf Schienen zu übernehmen und somit Schieneninfrastruktur und Transportgesellschaft wieder in öffentlicher Hand zu vereinigen. Dies wäre eine Form der Wiederverstaatlichung und könnte, so das Blatt, als Versuchsfeld für das restliche Großbritannien dienen. Schottland sei für dieses Experiment besonders gut geeignet, weil es ein relativ abgeschlossenes Gebiet sei und abgesehen vom regionalen Personenverkehr der First ScotRail nur zwei weitere Privatbetreiber mit Fernverkehrszügen von England aus schottische Personenbahnhöfe bedienten.

Streit innerhalb Labour über Re-Integration
In Schottland wird Anfang Mai ein neues Regionalparlament gewählt. Nach neuesten Umfragen fürchtet Labour, von den schottischen Nationalisten der SNP auf Platz zwei verdrängt zu werden. Die Meldung über geheime Pläne zum Einstieg in die Wiederverstaatlichung der Bahn stützt sich auf einen vage formulierten Passus aus dem Labour-Wahlprogramm. Die Partei stelle in Aussicht, die Vergabe künftiger Franchise-Verträge auf einer »nicht profitorientierten Grundlage« gründlich zu prüfen. Zwar meldeten andere Zeitungen am Wochenende, dass der schottische Labour-Regierungschef Jack McConnell hiervon noch nicht überzeugt sei. Aber das Blatt zitiert auch Bristow Muldoon, einen ranghohen schottischen Labour-Politiker, der sich für die Integration von Infrastruktur und Betrieb unter öffentlicher Regie ausspricht, mehr Ausgaben für die Infrastruktur und eine Senkung der Fahrpreise fordert. Die private Betreibergesellschaft First ScotRail finanziert sich und die Dividenden ihrer Aktionäre derzeit zu zwei Dritteln aus Zuschüssen der Regionalregierung und nur zu einem Drittel aus Beförderungstarifen.
Auch der »Times«-Redaktion ist es nicht verborgen geblieben, dass die 1993 unter dem konservativen Premier John Major beschlossene Bahnprivatisierung nicht die versprochenen Einsparungen und Serviceverbesserungen gebracht hat. Der britische Staat werde 2007 rund fünf Milliarden Pfund (etwa 7,5 Milliarden Euro) für das Eisenbahnwesen ausgeben. Dies sei rund dreimal so viel wie frühere Regierungen pro Jahr in die Staatsbahn British Rail vor deren Privatisierung gesteckt hätten, betont das Blatt. In den vergangenen zehn Jahren hätten die aus der Privatisierung hervorgegangenen Bahngesellschaften die Fahrpreise unter dem Strich verdoppelt.

Konservative diskutieren andere Pläne
Nach einer Serie schwerer Unglücke hatte die britische Labour-Regierung 2003 die Schienen-Infrastruktur zurück in die staatliche Network Rail überführt. Ein von der Bahngewerkschaft TSSA 2004 auf dem Labour-Parteitag durchgesetzter Beschluss für eine Wiederverstaatlichung nach Ablauf der Franchise-Verträge ist aber bislang ignoriert worden.
Die Meldungen über einen möglichen schottischen Pilotversuch wurden von den drei Bahngewerkschaften RMT, TSSA und ASLEF ausdrücklich begrüßt. RMT-Generalsekretär Bob Crow, dessen Gewerkschaft erst vor wenigen Jahren von Labour verstoßen worden war, forderte mit Nachdruck, dass die öffentlichen Subventionen für eine Verbesserung des Verkehrsangebots und nicht mehr für die Ausschüttung von Dividenden an die Aktionäre verwandt werden sollten. Mit der Wiedereinführung einer einheitlichen Bahn könne und müsse »der Albtraum der Privatisierung ein und für alle mal beendet werden«.
Auch Kevin Lindsay von der Lokführergewerkschaft ASLEF begrüßte den aktuellen Vorschlag als Fortschritt, auch wenn damit nicht alle gewerkschaftlichen Forderungen erfüllt seien. TSSA-Generalsekretär Gerry Doherty sprach sich dafür aus, nach einem zu erwartenden erfolgreichen Ausgang des schottischen Tests in ganz Großbritannien die schädliche Zersplitterung und Privatisierung des Bahnwesens zu überwinden.
Selbst die Konservativen sind laut »Times« nicht mehr von ihrer Politik der Zerschlagung der ehemals integrierten British Rail überzeugt und diskutieren Pläne für eine Re-Integration von Fahrweg und Betrieb. Allerdings schwebt ihnen dabei ganz im Sinne ihrer Klientel keine Wiederverstaatlichung, sondern eine regionale Aufsplitterung von...

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