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Einstürzende Altbauten

Uraufgeführt: Johann Kresniks »Amerika« im Bremer Güterbahnhof

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.
Überregional zwar immer etwas im Windschatten des größeren Hamburg, war der Bremer Generalintendant Klaus Pierwoß mit seinem Mehrsparten-Theater über dreizehn Jahre höchst erfolgreich. Er sicherte künstlerisches Niveau, verteidigte sein Haus gegen die Knausrigkeiten der hanseatischen Geldgeber ebenso, wie er Opernuraufführungen (mit Nachleben!) ermöglichte und mit seiner Auswahl von Regisseuren für eine lebendige ästhetische Auseinandersetzung sorgte. Pierwoß hielt auch Johann Kresnik die Treue. Mit seinen »Letzten Tagen der Menschheit« in einem Bremer U-Boot-Bunker oder den »Zehn Geboten« in einer Kirche erschloss der wiederum der Kunst neue Räume in der Stadt. Aber nicht nur die Erweiterung des Wirkungskreises dieses dezidiert auf seiner linken Erkennbarkeit bestehenden Erfinders des choreografischen Theaters sind ein Verdienst, sondern auch der umgekehrte Weg: ins Opernhaus und zur Oper. Der »Fidelio«, der bei Kresnik aus dem ganzen Theater die kriselnde Bremer Großwerft machte, war ein Geniestreich. Der in dieser Hinsicht leider allzu sehr Zaudernde wird übrigens Anfang Juni in Erfurt Verdis »Maskenball« inszenieren. In seiner letzten Spielzeit wollte Pierwoß nun noch einmal die ihm wichtigen Künstler aufbieten, ein Abschlussfeuerwerk aufscheinen lassen. Ausgerechnet im Falle von Johann Kresnik ist es allerdings eine ziemlich fade, nur ein bisschen vor sich hin dampfende Angelegenheit geworden. Dass diesmal überhaupt nicht getanzt wird, ist das eine. Es könnten ja immer noch wirkungsvolle Bilder oder Raumeindrücke entstehen, wenn sich Kresnik, inspiriert von Franz Kafkas gleichnamigem Roman, »Amerika« vornimmt. Der junge Prager Auswanderer Karl Roßmann (Anderas Seifert) ist der Held, der schon nach der Überfahrt am liebsten wieder umkehren würde. Aber dann doch erst einmal alle Klischeeuntiefen des bei Kresnik gar nicht gelobten Landes durchschreiten muss. Die im Gleisbett des Bremer Güterbahnhofs, in dem das Spektakel diesmal stattfindet, entlang schreitenden Engel mit den brennenden Flügeln machen durchaus Eindruck. Und das, obwohl in einem kulturpolitische Wellen schlagenden Malheur die Wasserfüllung, die den Atlantik vorstellen sollte, durchgebrochen und versickert war. Auch die Szene zwischen den Eingeweidebergen und den aufgehängten Schweinehälften ist nicht ohne. Schlachthaus Amerika, so hatte man sich das ja immer schon gedacht. Und dann verfetten sie allesamt an Geist und Seele vom vielen Fastfood. Oder werden zum Millionär und laufen mit Cowboyhut und spitzen Stiefeln rum und machen so einen wie Bush jr. zu ihrem Präsidenten. Das gelobte Land ist hier ein einziger Alptraum. Menschen in Müllsäcken. Amerikanisch für die Einwanderer - immer mit der Knute des Sklavenhalters in der Hand der Lehrer. Weibliche Vamps mit Riesenbusen und Ratten am Rocksaum. Ein Präsident, der die Fremden persönlich via Mattscheibe examiniert. Oder Donald Duck, wie er dort die Freiheitsstatue abknutscht. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Zuschauer zu Fuß von Szene zu Szene unterwegs sind, sich mitunter gegenseitig die Sicht nehmen, vor allem aber den Bildern ihren Wirkungsraum beschneiden. Auch wirken das Libretto, das Christoph Klimke von Kafka ausgehend gebastelt hat, und die Art, wie es gesprochen wird, mehr wie bemühter Agitprop und weniger als szenische Imagination. Und das trotz der vor allem in den Solopassagen des Cellos (Lana Kostic) atmosphärisch auf den besonderen Raum eingehenden Musik von James Reynolds. Kresnik rennt gegen den Mythos vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten an, will offenbar im Fackelschein der Miss Liberty schon das Zündeln aufscheinen lassen am Weltfrieden, den Weltpolizisten als Weltbrandstifter entlarven. Freilich schüttet er am Ende das Kind mit dem Bade aus. Als ob die Freiheitsstatue, die er zum Finale zusammenkrachen lässt, das Problem wäre! Auch hat sich ja schon manch andere Fackel der Utopie in manch anderer Weltgegend als Irrlicht erwiesen. Nächste Vorstellungen: 19., 21., 27. und 28. April
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