nd-aktuell.de / 15.03.2018 / Kultur / Seite 18

Eine Kindheit im Zauberschloss

»The Florida Project« zeigt Armut in den USA

Caroline M. Buck

Zwischen den Kids in diesem Film und absoluter Armut liegen immer noch Welten. Kein Bombenhagel wie in Syrien, kein Flüchtlingstreck, kein Wassermangel, keine Hungersnot. Das Motel, das für Moonee, Scooty und Jancey Wohnort und Spielwiese abgibt, ist schön angestrichen - und mit was für einer Farbe! Das Bonbon-Lila muss man gesehen haben, um es zu glauben. Ihr Zimmer ist klein, aber funktional, das Bad gut in Schuss, eine (mehr als) ausreichende Kalorienzufuhr gesichert. Und weil Kinder fantasiebegabt sind, haben die drei in diesem heißen Sommer in Florida auch Einfälle genug, um den Tag herumzubringen.

Sean Baker, Koautor und Regisseur von »The Florida Project«, hatte mit »Tangerine L. A.« bewiesen, dass der Hype nicht bloß Hype ist, sondern sich mit einem I-Phone tatsächlich erstklassige Filme machen lassen. Das Eifersuchtsdrama (man könnte es auch eine Freundschaftskomödie nennen) über Strich, Knast und fließende Geschlechtergrenzen in den billigeren Bezirken der Traumfabrikstadt hatte Herz, Schmiss und knackige Dialoge. Von ziemlich viel Bild im Verhältnis zur Größe der Aufnahmegeräte ganz zu schweigen.

Mit »The Florida Project« teilt »Tangerine L. A.« die flirrende Hitze sowie die materielle Armut und die Lebenslust der Protagonisten. Nur die Aufnahmetechnik und die Küste sind andere: das I-Phone hat ausgedient, und auf den extremen Westen der USA folgt mit Orlando, Florida, nun der Osten. Moonees Mutter Halley (Bria Vinaite) ist jung, tätowiert, allein mit ihrem Kind. Um die wöchentliche Miete im Magic Castle Motel zu bezahlen, verkauft sie den Touristen um das nahegelegene Disneyworld billige Düfte aus der Plastiktüte. Und weil das nicht reicht, verkauft sie sich selbst. Wenn die Männer kommen, sitzt Moonee in der Badewanne und spielt mit ihren Plastiktieren. Wenn einer sich mal in der Tür vergreift, schützt der Duschvorhang ihre Privatsphäre. Heile Welt - solange die beiden Welten sich nicht ins Gehege kommen.

Anderthalb Stunden lang tun sie das kaum. Man sieht Moonee und ihre Spielgefährten toben, Dummheiten machen, Eiscreme essen, Pfannkuchen mit Sirup erbetteln oder den genervten, besorgten, scheinstrengen, herzensguten Manager ärgern - ein echter Imagewechsel für den Schauspieler Willem Dafoe, den man eher in der Rolle des Kinderschrecks erwartet hätte als in der des fürsorglichen, vorausblickenden Verhinderers von männlichen Übergriffen wie hier. Aber Moonee ist erst sechs (und ihre Darstellerin Brooklynn Prince auch eine echte Entdeckung). Irgendwann wird Schluss sein mit dem lustigen Sommerspaß, wird Halleys Alltag sich breitmachen in Moonees Hälfte des Films, wird jemand die Sozialfürsorge holen und Moonee von ihrer Mutter trennen wollen. Und nie wird das Magic Castle Motel überzeugender ausgesehen haben wie das verlorene Paradies als in diesem Moment.

»The Florida Project«, USA 2017. Regie: Sean Baker, Darsteller: Brooklynn Prince, Willem Dafoe. 111 Min.