nd-aktuell.de / 16.03.2018 / Kultur / Seite 14

Reichs Mahnung

Andreas Peglau über den Rechtsruck

Werner Abel

Für Andreas Peglau, 1957 in Berlin (Ost) geboren, Psychologe und Psychotherapeut, ist seit den 1980er Jahren die Verbindung von linkem Gedankengut und Psychoanalyse ein wichtiges Thema. Folgerichtig stieß er dabei auf den Sigmund-Freud-Mitstreiter und dessen Antipoden Wilhelm Reich (1897 - 1957), der 1927 Mitglied der österreichischen, 1930 der deutschen kommunistischen Partei wurde. Niemand hat sich konsequenter als Reich darum bemüht, den Marxismus um tiefenpsychologisches Wissen zu bereichern. Seinem zähen Kampf gegen die Entpolitisierung der Freud’schen Lehre und seinen Auseinandersetzungen mit dem NS-System hat Peglau ein Buch gewidmet, das im vergangenen Jahr in dritter Auflage erschien: »Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus«.

Sein neues Buch ist faktisch eine Fortschreibung. Hat Peglau zuvor die Entstehung und Wirkung der Reich’schen Erkenntnisse in den Mittelpunkt gestellt, wendet er diese Erkenntnisse jetzt auf unsere Gegenwart an und entwickelt sie zugleich weiter. Das Buch beginnt mit einer knappen, pointierten Darstellung von Reichs Biografie und seinem sozialwissenschaftlichen Hauptwerk, der 1933 erstmals erschienenen »Massenpsychologie des Faschismus«. Es erscheint brandaktuell. Lassen sich doch, so Peglau, weder das Phänomen Pegida, die Erfolge der AfD, der europäische Rechtsruck noch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verstehen, ohne Sozialisation und Charakter zu berücksichtigen, die rechte Bewegungen begünstigten.

Reich betonte 1933, dass die NSDAP ihren Siegeszug maßgeblich psychischen Konstellationen verdankte, tradiert im Christentum, in der autoritären Kleinfamilie, durch Gefühls- und Sexualunterdrückung. Er mahnte, es genüge nicht, sich nur mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung auseinanderzusetzen, um den Faschismus aus der Welt zu schaffen. Peglau fragt: Auf welche Weise wurden jene sozialisiert, die heute »rechts« agieren? Und wie verbreitet sind gewisse Charakterstrukturen auch unter Liberalen, Grünen oder Linken? Was sind die unbewussten Motive hinter Fremdenfeindlichkeit und autoritärer Abhängigkeit? Wie funktionieren die Wechselwirkungen zwischen »oben« und »unten«, zwischen Individuen und Gesellschaft, und wie unterstützen sie »Rechts«-Tendenzen? Hat das System in der DDR, wie diverse Medien Glauben machen möchten, die Entstehung »rechter« Einstellungen intensiver gefördert als das der Bundesrepublik? Nein, ganz im Gegenteil, ist der Autor überzeugt und belegt dies auch.

Peglau bietet etwas an, was der Marxismus dringend benötigt: eine Ergänzung um fundierte psychosoziale Konzepte.

Andreas Peglau: Rechtsruck im 21. Jahrhundert. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus. NORA, 172 S., br., 14,90 €.