nd-aktuell.de / 16.03.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 17

Globaler Süden ist überschuldet

Bei 119 von 141 untersuchten Schwellenländern ist die Finanzsituation kritisch

Simon Poelchau

Keine Woche im Amt darf Olaf Scholz schon eine Dienstreise ans andere Ende der Welt machen. In Buenos Aires wird der neue Bundesfinanzminister Anfang nächster Woche mit seinen Amtskollegen aus den anderen G20-Ländern zusammenkommen. Dabei wird ausgerechnet ein Thema nicht auf der Agenda stehen, das auch für das diesjährige G20-Gastgeberland Argentinien ein großes Problem ist: die Schulden des globalen Südens.

»Jahrelang haben wir im Schuldenreport vor einer drohenden weltweiten Schuldenkrise gewarnt. Diese Krise ist nun da«, so Jürgen Kaiser von erlassjahr.de bei der Vorstellung des diesjährigen Schuldenreports am Donnerstag in Berlin. Das Entschuldungsbündnis stuft die Schuldenlast Argentiniens darin als kritisch ein. Mit 54,2 Prozent der Wirtschaftsleistung ist sein Schuldenberg zwar relativ gesehen noch kleiner als der der Bundesrepublik. Doch wird er immer größer. Was besonders auf dem südamerikanischen Land lastet: Mehr als ein Drittel seiner Exporteinnahmen muss es für die Bedienung seiner Auslandsschulden einsetzen. Auch hier: Tendenz steigend.

Insgesamt 141 Mittel- und Niedrigeinkommensländer untersuchte erlassjahr.de zusammen mit dem katholischen Hilfswerk Misereor auf ihre Schuldenlast. Bei 119 von ihnen stufen sie die Last als kritisch ein, bei 87 hat sich die Situation verschlechter. 13 Länder sind aktuell sogar im Zahlungsverzug. Eritrea, Kuba, Nordkorea, Simbabwe, Sudan und Syrien haben ihre Zahlungen schon vor 2015 eingestellt. Die anderen konnten ihre Schulden seit 2015 entweder nur teilweise bedienen oder mussten die Zahlungen zeitweilig einstellen.

Vier Ländergruppen sind Kaiser zufolge besonders von der Krise betroffen: Erstens sind es fragile Staaten, in denen zum Teil sogar Bürgerkrieg herrscht. Zweitens sind es sogenannte extraktivistische Volkswirtschaften, deren Geschäftsmodell vor allem auf der Ausbeutung von Bodenschätzen beruht. Diese waren in letzter Zeit besonders schwer vom Preisverfall bei den Rohstoffen betroffen. Drittens sind es sehr kleine Staaten des globalen Südens und viertens jene »gemischten Typen«, die sich nicht eindeutig einordnen lassen.

Den Entwicklungsländern fehlt es jedoch nicht an frischem Geld. Ganz im Gegenteil, denn neues Geld bedeutet für sie neue Schulden. Seit der Finanzkrise 2008 habe auf Grund der niedrigen Zinsen in den Industriestaaten ein »Kredittourismus in den Globalen Süden« stattgefunden, erzählt Kaiser. Das nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital sei auf Politiker getroffen, die damit ihre Haushaltslöcher stopfen wollten. Die Folge: Seit 2008 hat sich der Schuldenstand des Globalen Südens fast verdoppelt und beträgt aktuell 6,877 Billionen US-Dollar. Dabei hat sich auch die Gläubigerstruktur seit der großen Schuldenkrise der 1980er verändert. Die alten Industriestaaten haben als Gläubiger an Bedeutung verloren, viel Geld kommt mittlerweile von Privatinvestoren. »Große Schwellenländer, allen voran China, spielen als neue Geber eine zunehmend wichtige Rolle«, heißt es zudem im Schuldenbericht.

»Die Menschen werden immer weiter in die Armut getrieben, wenn ein Großteil der Haushaltsmittel in den Schuldendienst fließt, statt für Investitionen in soziale Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsvorsorge genutzt zu werden«, sagt Klaus Schilder von Misereor. Die Folgen seien zum Beispiel wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen, steigende Migration und Instabilität ganzer Gesellschaften.

Erlassjahr.de und Misereor fordern den neuen Bundesfinanzminister Scholz deswegen auf, sich dafür einzusetzen, dass das Thema auf die Agenda der G20 kommt. »Es ist wichtig, dass die G20 umgehend eine sinnvolle Entschuldungsoption schaffen, um dramatische Folgen der Schuldenkrise gerade für die Ärmsten und Verletzlichsten im Globalen Süden abzuwenden«, so Schilder. Im vergangenen Jahr hätten die G20 die Chance vertan, faire und verlässliche Regeln für den Umgang mit Schuldenkrisen zu schaffen.