Viel ist in der letzten Zeit über die Verbote von kurdischen Demonstrationen geschrieben worden. Auch die Veranstaltung zum Newroz-Fest in Hannover am Sonnabend stand auf der Kippe. Das »nd« hat den Anmelder einer der Demonstrationen in Hannover begleitet und aufgeschrieben, wie die Kommunikation mit der Polizei ablief.
Auf dem Schützenplatz treffen Bakir Selcuk und die Polizei zum ersten Mal aufeinander. Ein kurzes, höfliches Gespräch folgt. Die dort beginnende Demo muss ein wenig später los gehen als der zweite Zug vom Küchengarten. Der Grund: der Anmelder der zweiten Demonstration hat auch die gemeinsame Abschlusskundgebung beider Protestmärsche angemeldet. Auf dem riesigen Schützenplatz pfeift kalter Wind. In der Nacht hat es geschneit. Die etwa 300 Demonstranten, die schon da sind, stört das nicht. Sie rufen Parolen gegen die türkische Offensive im nordsyrischen Afrin, tanzen und trommeln sich warm.
Einer der Kontaktbeamten sucht den Anmelder. Gleichzeitig kommt ein Lieferwagen, aus dem Fahnen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG und YPJ verteilt werden.
Die Polizei gibt dem Anmelder fünf Minuten Zeit, um zwei Fahnen mit dem Porträt des in der Türkei inhaftierten Abdullah Öcalan zu entfernen. »Wir wollen keinen Ärger wegen zwei Fahnen, geben Sie sie uns oder packen Sie sie ins Auto.«
Weiteres Gespräch mit dem Anmelder der Demonstration: Es wird besprochen, wo er bei der Demo anzutreffen ist. Die Polizei erinnert daran, die Auflagen vorzulesen. Sie beinhalten, dass jeglicher Bezug zu Abdullah Öcalan und der PKK verboten seien. Auch in Form von Parolen. Anmelder und Polizei tauschen Telefonnummern aus.
Bakir Selcuk hört am anderen Ende der Kundgebung Durchsagen der Polizei. Eilt dorthin. Es stellt sich heraus, dass kein Grund zur Aufregung besteht. Zwei Demoteilnehmer haben ihre Geldbörsen verloren. Die Polizei bittet, bei der Suche zu helfen. Später werden die Portemonnaies gefunden.
Wieder Gespräche zwischen Anmelder und Polizei. Die Demo könnte starten, erstmal sollten aber die Auflagen verlesen werden. Problem: der Lautsprecherwagen ist noch nicht fertig aufgebaut.
Die Auflagen der Demo werden verlesen. Die Polizei ist entspannt.
Der Anmelder beschwert sich über eine Festnahme. Die Polizei wiegelt ab, es gebe nur eine Identitätsfeststellung, weil ein Teilnehmer eine verbotene Fahne getragen habe.
Die Polizei kommt auf den Anmelder zu. Öcalan-Rufe sollten unterlassen werden. Dafür fordert die Polizei eine Durchsage von der Demo. Wenn dies unterbleibe, werde die Demo den Platz nicht verlassen.
Die Demo will starten. Der Kontaktbeamte sagt, dies sei nicht möglich, so lange Öcalan-Parolen gerufen würden. Am Rande der Demo setzen Polizisten Helme auf.
Jetzt sagt die Polizei, es könne losgehen. An der Situation hat sich nichts geändert.
Die Demonstration zieht nach Durchsagen, dass man Parolen mit Bezug auf Abdullah Öcalan, »auch wenn es schmerzt«, sein lassen solle, los.
Die Polizei droht dem Anmelder. Sollten die Parolen weiter skandiert werden, würden alle Fahnen verboten. Gesetzlich gebe es, wegen des Bezuges zur PKK, dann keine anderen Möglichkeiten.
Nach Durchsagen, keine Öcalan-Parolen mehr zu rufen, kann es weitergehen.
Der Anmelder hätte gerne einen größeren Abstand zwischen Polizeiketten und Demonstration. Die Polizei kontert, es gebe wieder Öcalan-Rufe. Man müsse eventuell stoppen.
Nach einer langen, ruhigen Phase kündigt die Polizei an, die Demonstration zu stoppen. Verbotene Parolen würden, von einer Gruppe von zehn Personen, noch immer gerufen.
Der Anmelder und sein Anwalt, Lukas Theune, haben für weitere Durchsagen gesorgt. Die Polizei fordert trotzdem zum »Nachbessern« auf.
Die Demo bekommt fünf Minuten Zeit, um YPG-Fahnen, etc. abzulegen. Lange Diskussionen folgen. Die Polizei bleibt hart. Die Fahnen müssen weg. Anwalt Lukas Theune: »Es kann nicht sein, dass eine Demo mit tausenden Leuten dafür haften muss, dass zehn Leute verbotene Parolen brüllen.« Die Polizei antwortet: »Wir können uns von Ihnen nicht auf der Nase rumtanzen lassen.« Der PKK-Bezug sei da.
Nach kurzer Zeit lenkt der Einsatzleiter ein. Es kann weitergehen. Aber wenn es noch einen PKK-Bezug geben sollte, würde die Polizei in die Versammlung gehen. Das Gespräch hat beinahe pädagogischen Charakter. Die Polizei als Lehrer, Anwalt und Anmelder in der Rolle der Schüler.
Polizeibeamte zum Anmelder: »Die Versammlung ist so groß, sie haben nicht unter Kontrolle, welche Parolen gerufen werden.« Ob es weitergeht, wird geklärt.
Es soll weitergehen. Mittlerweile stehen drei Wasserwerfer um die Demo. In einem Nebensatz sagt ein Beamter: »Wir müssen nochmal tätig werden.« Kurze Zeit später stürmen Polizisten in die Demo. Sie wollen eine verbotene Fahne sicherstellen. Dabei wird auch eine Festnahme durchgeführt. Demonstranten werfen Flaschen und Fahnenstangen auf die Polizei. Begleiter des Anmelders reagieren mit großem Unverständnis auf die Maßnahme. Die Polizei bleibt kühl, sagt, dass es gleich weitergehen könne.
Die Demonstration kann weiterziehen. Auch Rufe für PKK und Öcalan stören die Polizei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Gegen 13:50 Uhr erreicht die Demonstration den Opernplatz. Hier sollen die Abschlusskundgebung und das Newroz-Fest stattfinden.
Am Opernplatz bleibt es dann, trotz PKK- und Öcalan-Fähnchen, relativ ruhig. Das Zauberwort der Verhältnismäßigkeit wird von der Polizei ins Spiel gebracht. Auch Dirk Wittenberg, Anmelder der Kundgebung und Mitglied der »Interventionstischen Linken«, trägt zur Deeskalation bei. Er fragt, ob der »Genosse Öcalan« es wohl klug fände, die Auflösung einer Demo wegen Fahnen zu riskieren. Das verstehen offenbar die Meisten.
Dass es in Hannover nicht zur Eskalation gekommen ist, hängt mit einer sehr zurückhaltenden Polizei zusammen. In manch einem anderen Bundesland wäre nach wenigen Metern Schluss gewesen. Aber auch die kurdischen Demonstranten haben sich bemüht, die neuen und aus ihrer Sicht unverständlichen Verbote zu akzeptieren.