nd-aktuell.de / 19.03.2018 / Berlin / Seite 11

Parlament statt Freizeit

Rot-Rot-Grün möchte noch vor der Sommerpause ein Gesetz zur Jugendförderung vorschlagen

Philip Blees

Es ist Samstagmorgen und eine eher ungewöhnlicher Zeit, das Rathaus Charlottenburg am Richard-Wagner-Platz aufzusuchen. Trotzdem sind mehr als ein Dutzend Kinder und Jugendliche zur Abschlussveranstaltung eines Modellprojektes zum Jugendfördergesetz gekommen. Sie wollen ihre Ergebnisse der letzten Wochen den Erwachsenen präsentieren, denn für viele ist es nicht der erste Samstag, an dem sie ihre Freizeit für dieses Thema opfern.

An den vorherigen drei Wochenenden hatten sich bereits 25 Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahren getroffen, um unter der Leitung der Drehscheibe Kinder- und Jugendpolitik der Stiftung Sozialpädagogisches Institut (SPI) Ideen zu sammeln und zu diskutieren, wie Jugendbeteiligung in ein Gesetz gegossen werden könnte (»nd« berichtete). Erstmals wurden so junge Menschen als Experten in die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs eingebunden. »Das waren vier ganz tolle Wochen«, sagt Pia Schäfer von der Stiftung SPI. Die Jugendlichen hätten bei den Seminartagen mit je fünf Stunden Arbeit und noch darüber hinaus großartige Ergebnisse erzielt. Damit diese Ergebnisse bei anderen Jugendlichen ankommen, wurde im Rahmen der Workshops ein Video zur Erklärung des Modellprojekts gedreht. Dieses Video wurde schon Ende vergangener Woche an verschiedenen Stellen im Internet hochgeladen. Junge Menschen auf diesem Wege zu erreichen, ist für die Aktiven, die sich oft auch anderswo, beispielsweise in einem Jugendparlament engagieren, ein zentrales Anliegen. Anders könne in der heutigen Zeit kein Interesse mehr bei den Jugendlichen geweckt werden, heißt es. Damit junge Menschen dennoch für die Mitarbeit in Netzwerken gewonnen werden können, sollte die Öffentlichkeitsarbeit »generationengerecht« gestaltet werden, steht in den Auswertungspapieren des Modellprojekts. Grundsätzlich sei die Beteiligung gewollt.

Es scheitere jedoch schon oft daran, sich über die Möglichkeiten der Mitbestimmung zu informieren. So sei es »Realitätsverweigerung«, davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche Kenntnis über diese Möglichkeiten haben. Dies erkläre auch, warum sich nur wenige von ihnen aktiv einbringen. Folglich sollten sich Lehrkräfte und Betreuer auf ganz individueller Ebene für Partizipation einsetzen und das vorhandene Interesse an Mitbestimmung fördern. Eine Idee sind Informationsveranstaltungen. Ein weiteres Problem sehen die Jugendlichen darin, dass bisherige Angebote nur eine bestimmte Gruppe in ihrem Alter anspreche - den Nachwuchs aus Akademikerfamilien. Diese haben mehr Zeit für politisches Engagement und können sich auf Rückhalt in ihren Familien verlassen. Kinder, die viel für die Schule tun müssen oder körperlich beeinträchtigt sind, fallen dabei raus. Das dürfe eigentlich nicht passieren. »Partizipation muss für alle geöffnet werden«, sagt der 16-jährige Simon. Hierzu gehöre auch, dass alternative selbstorganisierte Räume möglich sind und erhalten bleiben - beispielsweise die räumungsbedrohten Jugendzentren Potse und Drugstore in Schöneberg.

Für die Jugendlichen geht es auch erst einmal darum, dass ihre Meinung akzeptiert wird. Die Jugend solle nicht nur dann beteiligt werden, wenn es passt, findet Miguel Góngora, Vorsitzender des Jugendparlaments im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. »Die wirklichen Experten sind die Jugendlichen selber.« Es sei allerdings nötig, diese kräftig zu unterstützen. Dafür benötige man ausreichende Ressourcen - beispielsweise in Form von einer weiteren Vollzeitstelle.

Die Politik zeigt sich schon einmal begeistert von den Ideen: Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba (SPD) und die junge Abgeordnete June Tomiak (Grüne) erhielten bei der Abschlussveranstaltung eine Mappe mit den Ergebnissen der Workshops. Darin enthalten seien »viele gute Grundlagen«, bedankte sich Klebba. »Man kann an einigen Stellen noch besser werden«, räumte sie ein. »Die Forderungen sind schon im Koalitionsvertrag«, sagte Tomiak. Wichtig sei nun, darüber zu sprechen und mit den Koalitionspartnern SPD und der Linkspartei zu verhandeln. Laut Klebba soll es noch vor der parlamentarischen Sommerpause zu einem Gesetzesvorschlag kommen.

Wenn es nach Tomiak gehen würde, sollen auch dabei die Jugendlichen eingebunden werden, was auch ganz nach ihrem Wunsch ist. Der Jugendparlamentsvorsitzende Miguel Góngora würde gerne persönlich in den verantwortlichen Ausschüssen des Abgeordnetenhauses Stellung beziehen - ganz im Zeichen der Jugendbeteiligung. Ob dies möglich ist, müssen die Erwachsenen klären.