nd-aktuell.de / 25.03.2018 / Kommentare

Mit Feuer und Blut

Der Mord an der brasilianischen Politikerin Marielle Franco ist kein Einzelfall. Der Kapitalismus braucht Gewalt zum Überleben, findet Alberto Acosta

Alberto Acosta

Vor wenigen Tagen hat uns der Mord an der Gemeindepolitikerin Marielle Franco in Rio de Janeiro bewegt. Die junge Politikerin untersuchte das Vorgehen von Polizei und Militär in den Favelas. Sie wurde »exekutiert«. Mit Munition aus Polizeibeständen, im Herzen einer großen Metropole. Die Nachricht von ihrem Tod war erschütternd, denn wir haben eine Verteidigerin der Menschenrechte verloren, schwarz und lesbisch, ein beispielhaftes Leben. Die Bluttat führt uns zu einem weiteren Fall, der Ermordung von Berta Cáceres vor zwei Jahren. Die Aktivistin legte sich mit Weltbank und China an, stellte sich gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes in Honduras.

Brutale Morde wie diese sind weltweit an der Tagesordnung. Allenthalben geschehen Morde gegen die Verteidigerinnen und Verteidiger von Menschenrechten und die Rechte der Natur. 2017 wurden rund 200 Aktivistinnen und Aktivisten ermordet, die sich den Extraktivismen entgegenstellten. 60 Prozent dieser Verbrechen fanden in Lateinamerika statt. Die Ursachen jeder dieser Morde sind vielfach. Aber alles weist darauf hin, dass die Gewalt strukturellen Charakters ist. »Es ist klar, dass die direkte Gewalt und strukturelle nicht dasselbe sind«, erklärt der bekannte spanische Soziologe José María Tortosa. Allerdings seien diese Taten »Teil eines großen Ganzen« und »miteinander verbunden«.

Gerade wegen dieser Verbundenheit ist es also gefährlich, wenn man sich bei diesen Taten auf Einzelheiten der kriminellen Akte fokussiert, und dabei die strukturelle Essenz der Gewalt an den Rand drängt. Tut man dies, so verhindert man die Suche nach Antworten in einem so verwirrenden Thema, wie es der Kampf gegen Gewalt in all seinen Formen ist: sei es bei Morden an Menschenrechtlern, beim Menschenhandel, Waffenhandel und Krieg, Kinderpornographie, die Toten des Drogenhandels, das organisierte Verbrechen, die Umweltzerstörung, die Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit, das Patriarchat, der Kolonialismus mit seiner Gewalt des Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Wir müssen über die Gründe all dieser Formen der Gewalt nachdenken, die letzten Endes allesamt Phänomene einer darunter liegenden strukturellen Gewalt sind. Schauen wir genauer hin, müssen wir als gemeinsamen Grund die kapitalistische Akkumulation erkennen. Der Kapitalismus überlebt, über komplexe Logiken und Strukturen, über die Ausbeutung der Arbeitskraft. Der Kapitalismus überlebt über die Beherrschung der Märkte, die durch Monopolbildung erreicht wird. Über einen Anstieg der Finanzialisierung der immer spekulativer werdenden, sich von der Produktion entfernenden Geschäfte. Der Kapitalismus überlebt über eine Ausweitung der Extraktivismen, welche die Natur und Gemeinschaften zerstören. Über den internationalen Handel durch Konzentration und Zentralisierung seiner Vorteile auf einige wenige Machtzentren. Über die Ausnutzung der verschiedenen Formen des organisierten Verbrechens. Durch das Anheizen von Kriegen. Es geht dabei immer um das Aufrechterhalten der Kapitalakkumulation, vor allem des transnationalen Kapitals. Genau in diesen, und anderen Prozessen, in denen die Logik der Kapitalakkumulation in Gewalt mündet. Vergessen wir nicht, dass das kapitalistische Weltsystem in seiner inhärenten Logik »schlecht entwickelt« ist.

Wie schon Karl Marx in »Das Kapital« richtig benannte, ist die kapitalistische Akkumulation von Natur aus gewalttätig, weil es »die Produzenten in Lohnarbeiter verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit und Zunftzwang (.) Andererseits aber werden diese Neubefreiten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.« Wer den Kapitalismus akzeptiert, der will den Kreislauf der Gewalt nicht schließen, und das in einer Zeit, in der wir eine massive Ausweitung der kapitalistischen Globalisierung erleben. Auch wenn es gerade nicht danach aussieht ist der Kapitalismus kein Muss.

Übersetzung/Redaktion: Benjamin Beutler