nd-aktuell.de / 27.03.2018 / Kultur / Seite 16

Endstation Gähnsucht

Welttheatertag

Hans-Dieter Schütt

Heute ist Welttheatertag. Gute Gelegenheit, einmal mehr eine böse Diffamierung zu geißeln. Sie durchzieht als Phrase immer mal wieder den Sprachschlamm der politischen Kommentierungen: Viele Politiker, so heißt es in den Medien gern, seien leider »nur noch Schauspieler«, die Große Koalition beispielsweise präsentiere sich als »routiniertes Staatstheater«. Welch eine Beleidigung!

Max Reinhardt, der große Regisseur des Berliner Theaters, bezeichnete als Kern der Schauspielkunst: wesentlich zu werden, also: keine Verstellung zu betreiben, sondern Offenlegung. Muss man angesichts dessen noch über Politik reden? Da wird doch nur unter Zwängen offengelegt und meist etwas zur Schau gestellt, das unter allen Umständen eingängig wirken soll. Das ist aber das Gegenteil von Schau-Spiel und auch das Gegenteil von Theater - es ist nicht einmal Zirkus, in den die Leute nicht wegen des Netzes gehen, das unterm Trapez aufgespannt ist. Vielleicht passt an die politische Spitze unseres Landes wahrlich niemand so gut wie Merkel: jeden Konflikt niederreden; nicht Angela, sondern Siegfried sein: alles auf die eigene Tarnkappe nehmen.

Wer sich gut verstellen kann, aus dem wird höchstens ein mittelmäßiger Schauspieler. Zum guten Schauspieler führt einzig der Mut, die eigenen Unsicherheiten, das eigene Anfechtbare, den eigenen Abgrund aberwitzig auf die Bretter zu werfen. Wann sind wir denn im Theater beglückt, berauscht, beseelt, weggerissen aus jener Profanität, die wir unser Leben zu nennen gezwungen sind? Dann, wenn wir meinen, da vorn auf der Bühne verwandeln große Virtuosität und erregende Aura einen Spieler in ein grenzenlos gefährdetes Wesen. Und plötzlich wissen wir nicht mehr, was ist Leben, was ist Kunst, was ist Spiel und was tödlicher Ernst - und wir sehen einen Menschen auf schmalstem Grat zwischen Auffahrt in einen Himmel und Absturz in eine Hölle. Es geht im Spiel darum, in fremder unwahrer Haut ahnbar zu machen, was in einem selber steckt: wahrer Prinz und König, wahrer Liebhaber und Ehebrecher; ein wahrer Mörder natürlich auch.

Auch Politiker seien Individualisten? Ja, von der Stange. Bei den Sozialisten drückt zudem die Missionsneurose. Man könnte das gesamte Personal aller Parteien durchnehmen, von Linksrechts bis Rechtslinks: keiner ein König, der dem Narren in sich Leine lässt; keiner ein Narr, der einen König aus sich zu machen weiß. Was sollte denn einen Dobrindt oder Riexinger zum Schillern bringen? Lafontaine wird doch hinter Wagenknecht nicht glanzvoller, und ein Hosenanzug macht aus der Marke Nahles noch keine brillante Hosenrolle. Der gesamte politische Betrieb als elend grau kopierter Tennessee Williams: »Endstation Gähnsucht«.

Auf dem Theater ist die Maske lediglich das Hilfs-Mittel, hinter dem die Schauspieler gnadenlos ungeschminkt des Menschen Kern präsentieren. In der Politik ist Maskierung oft genug das Versteck. Wer dran risse, hätte schon das Gesicht in der Hand. Um im Bilde des heutigen Tages zu bleiben: keine schöne Vorstellung.