Festnahmen nach Großbrand in Sibirien

Behörden leiten strafrechtliche Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und Verletzung von Schutzvorschriften ein

  • Axel Eichholz, Moskau
  • Lesedauer: 2 Min.

»Liebe Mama und Papa, lebt wohl. Wir haben euch sehr lieb.« Textnachrichten dieses erschütternden Inhaltes kamen gleich auf mehreren Mobiltelefonen rund um das brennende Unterhaltungs- und Handelszentrum »Winterkirsche« im westsibirischen Kemerowo an. Das Feuer war am Sonntagnachmittag im vierten Obergeschoss ausgebrochen. Dort befinden sich Spielräume für Kinder sowie Kinos und eine Eisbahn. Das Dach stürzte auf der gesamten Fläche von 1500 Quadratmetern ein. Bis Montagmittag konnte das Feuer nicht gelöscht werden.

Mindestens 64 Menschen starben. 59 weitere, darunter 41 Kinder, gelten als vermisst. 48 Verletzte mussten ärztlich behandelt werden. Elf davon waren am Montag noch im Krankenhaus. Zwei schweben in Lebensgefahr. Einige Kinder sprangen aus dem obersten Stockwerk. Ein Junge wurde in ein künstliches Koma versetzt. Seine Eltern und die Schwester kamen in den Flammen um. Neben Knochenbrüchen erlitten viele Opfer Vergiftungen durch Kohlenmonoxid.

Die Behörden haben strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wegen fahrlässiger Tötung, Verletzung von Brandschutzvorschriften und dem Verkauf von Dienstleistungen, die den Sicherheitsforderungen offenbar nicht entsprachen. Vier Personen, unter ihnen die Generaldirektorin des Vergnügungszentrums, in dem vermutlich der Brand ausbrach, und der Mieter der Räume wurden vorübergehend festgenommen. Die Generaldirektorin habe nur formell dieses Amt bekleidet, sagte deren Sohn. Der wirkliche Besitzer und Verwalter des Zentrums lebe in Australien und werde wohl ungeschoren davonkommen.

Der Gouverneur von Kemerowo, Aman Tulejew, leitet den Katastrophenstab vor Ort. Er kündigte Wiedergutmachungen in Höhe von einer Million Rubel (14 500 Euro) pro Familie an. Der russische Versicherungsverband schätzt den Gesamtschaden auf vier Milliarden Rubel (etwa 14 Millionen Euro). Als Brandursache werden elektrischer Kurzschluss, »simple Schlamperei« oder ein Kinderstreich vermutet. Bei einigen Kindern seien Feuerzeuge gesehen worden, heißt es.

Während des verheerenden Brands hatte ein Wachmann den Feueralarm deaktiviert. Das teilte das staatliche Ermittlungskomitee am Montag mit. Der Mann habe den Alarm ausgeschaltet, nachdem er ein Signal über Feuer im Gebäude erhalten hatte. Warum er das tat, war zunächst nicht bekannt.

Das Einkaufszentrum »Winterkirsche« wurde in Kemerowo, wo etwa 500 000 Menschen leben, 2013 an der Stelle einer 2007 abgerissenen Süßwarenfabrik errichtet. Die Gesamtfläche des Zentrums belief sich auf 18 900 Quadratmeter. Das Gebäude wurde wiederholt weiterverkauft. In den ersten zwei Jahren beschränkte sich der Reingewinn des Zentrums auf eine Million Rubel. 2015 und 2016 brachte es 24,1 Millionen Rubel Verluste. Das Zentrum umfasste Läden, einen Bowlingklub und eine Eislaufbahn für Kinder sowie Spielautomaten. Außerdem befand sich ein Streichelzoo in dem Zentrum. Alle 200 Tiere sind bei dem Brand umgekommen.

Immer wieder kommt es in Russland zu verheerenden Bränden, bei denen Dutzende Menschen wegen mangelnder Sicherheitsbestimmungen ums Leben kamen.

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