nd-aktuell.de / 27.03.2018 / Politik / Seite 2

Aufschrei in Katalonien

Unabhängigkeitslager schließt nach der Verhaftung von Carles Puigdemont wieder seine Reihen

Ralf Streck, San Sebastián

Der Streit und die Uneinigkeit unter den katalanischen Unabhängigkeitsparteien ist passé. Dafür sorgt die neue Drehung in der Spirale der spanischen Repression. Nachdem die spanische Justiz mit rechtlichen Kniffen die Wahl des ehemaligen Regierungssprechers Jordi Turull zum katalanischen Regierungschef verhindert hat und den abgesetzten Carles Puigdemont mit Informationen des spanischen Geheimdienstes in Deutschland festnehmen ließ, ist vielen in Katalonien definitiv die Hutschnur geplatzt.

Auf den Straßen in ganz Katalonien wird vom «katalanischen Frühling» gesprochen. Hunderttausende gehen seit Freitag auf die Straßen, nicht nur Befürworter der Unabhängigkeit. Solidaritätsproteste finden im ganzen spanischen Staat statt. Auf spontanen Demonstrationen, Autobahn- Straßen- und Schienenbesetzungen wird in Katalonien ein Generalstreik gefordert. Ziel ist, Puigdemont zum Präsidenten zu küren und die Katalanische Republik umzusetzen, die vergangenen Oktober von Puigdemont proklamiert worden war, um sie gleich danach auszusetzen.

Bei den Demonstrationen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung kam es am Sonntag erstmals auch zu Gewaltszenen. Provoziert wurden diese vor allem durch das zum Teil brutale Vorgehen der katalanischen Polizei. Fast 100 Menschen wurden verletzt und es gab acht Festnahmen. Zum Teil reagierten auch Demonstranten gewaltsam, Barrikaden wurden gebaut und angezündet. Provokateure spielten auch eine Rolle. So wurde in Girona ein infiltriertes Mitglied der paramilitärischen Guardia Civil enttarnt, der zum Anzünden von Müllcontainern angestiftet hatte. In Barcelona wurden auch Nationalpolizisten in Zivilkleidung erkannt und isoliert.

Politisch versucht sich derweil das Unabhängigkeitslager zu sammeln. So wird die Wahl von Puigdemont in Abwesenheit zum Ministerpräsidenten wieder in Erwägung gezogen. Auch die neu gewählte Präsidentin des zivilen Katalanischen Nationalkongresses (ANC), Elisenda Paluzie, drängt darauf, da dies in einem «allgemeinen Aufschrei» gefordert werde. Sie hat den inhaftierten Jordi Sànchez gerade an der Führung der großen Organisation abgelöst, die 2012 gegründet wurde, um von unten für die Unabhängigkeit zu streiten.

Wie Puigdemonts Wahl wurde auch die Wahl von Jordi Sànchez zum Regierungschef durch juristische Maßnahmen aus Madrid verhindert. Der ANC, der schnell viele Menschen mobilisieren kann, ruft, wie Puigdemont, Unabhängigkeitsparteien und die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) zu einem weiter friedlichen aber entschlossenen Vorgehen auf.

Dass Spaniens Justiz verhindert hat, dass Puigdemont, Sànchez und zuletzt der am Freitag verhaftete Jordi Turull gewählt werden konnten, sei «nicht hinnehmbar», sagte Paluzie. Es sei wichtig, dass «wir als Unabhängigkeitsbewegung geeint stark» in dem Konflikt stehen und nicht geschwächt. Sie verwies so indirekt darauf, dass sich die linksradikale CUP am Donnerstag im ersten Wahlgang enthalten hatte und damit Turull durchfallen ließ. Das eröffnete dem spanischen Richter Pablo Llarena die Möglichkeit, Turull vor dem zweiten Wahlgang zu inhaftieren und seine Amtseinführung zu verhindern.

Die spanische Repression hat die Einheit zurückgebracht. Die CUP favorisierte ohnehin Puigdemont als Präsidenten, da sie auf einen Kurs des «Ungehorsams» setzt, um die ausgerufene «Republik» aufzubauen. CUP-Chef Carles Riera erklärte, man sei bereit, dafür auch Verantwortung im Parlamentspräsidium zu übernehmen. Er bot damit Parlamentspräsident Roger Torrent an, zurückzutreten, falls dieser sich vor einer zu erwartenden Anklage wegen Rebellion und Ungehorsam scheue.

Mit Puigdemonts «Gemeinsam für Katalonien (JxCat) und der Republikanischen Linken (ERC) hat die CUP am frühen Montag einen Antrag ins Parlament eingebracht. Auf einer Sondersitzung sollen »alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden«, um die politischen Rechte von Puigdemont, Turull und Sànchez zu garantieren. Das bedeutet auch, sie in Abwesenheit gegen »vorläufige Auflagen« des Verfassungsgerichts wählen zu können und dass Inhaftierte dann ihre Stimme abgeben können.

Sie beziehen sich dabei auch auf eine Rüge der UNO-Menschenrechtskommission. Die hat aus Genf von Spanien gefordert, »alle Maßnahmen zu ergreifen«, um die Rechte eines Kandidaten zu sichern. Das fordert auch José Antonio Martín Pallín. »Ein Untersuchungsrichter darf nicht im Rahmen seiner Ermittlungen einem gewählten Volksvertreter verbieten, sein Mandat wahrzunehmen.« Dabei gehe es nicht um Katalonien, »sondern um demokratische Prinzipien«, so Pallín. Der Unabhängigkeitsgegner war Richter an jenem Gericht, das die Rebellion-Anklagen gegen Puigdemont und seine Mitstreiter konstruiert, auf denen die Europäischen und Internationalen Haftbefehle gegenüber Belgien, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz basieren. In diesen Ländern wurden - anders als in Deutschland - aber keine Exil-Katalanen festgenommen.

Die harte Repression hat auch Bewegung in die ERC gebracht. Die hält zwar grundsätzlich an einer »effektiven Regierung« fest, wie der ERC-Sprecher Sergi Sabrià am Montag betonte. Doch die ERC glaubt nur noch begrenzt, dass es überhaupt möglich ist, über eine Regierungsbildung die spanische Zwangsverwaltung nach Artikel 155 abzuschütteln, die seit Ende Oktober 2017 in Kraft ist. Die Gründe: Parteichef Oriol Junqueras ist seit Monaten inhaftiert und die Generalsekretärin Marta Rovira hat sich vergangenen Freitag der Haft durch Flucht in die Schweiz entzogen.

Für das ehemalige ERC-Führungsmitglied Carme Porta ist nun von entscheidender Bedeutung, »der Wut mit Ruhe zu begegnen«. Dem »nd« erklärte sie, »die organisierte Zivilgesellschaft« müsse gestärkt und eine »breite gemeinsame Front« über die Unabhängigkeitsbewegung hinaus gegen die Repression aufgebaut werden. Eine »gemeinsame Führung« dürfe eine Strategie nicht nach der Repression ausrichten, fügte sie an. Nur eins ist sicher. Der Katalonienkonflikt geht in die nächste Etappe.