nd-aktuell.de / 03.04.2018 / Kommentare / Seite 7

Mehr Gewalt ist Teil des Problems

Israelische Linke fordert Kurswechsel und eine langfristige Lösung für das gesamte palästinensische Volk

Tsafrir Cohen

»So sieht Sicherheit nicht aus, so sieht der Weg zum Frieden nicht aus« - lautete der Aufruf der israelischen Graswurzelorganisation »Standing Together« zu einer Demonstration gegen die Militärgewalt um den Gazastreifen[1]: »Wir sehen, wie der nächste Krieg aussehen könnte, der sich mit jedem Tag zu nähern scheint. Unsere Mission besteht heute darin, Hoffnung zu erzeugen - um den nächsten Krieg zu verhindern und einen israelisch-palästinensischen Frieden zu fordern, der die Sicherheit bringt, die wir alle verdienen. Märsche, wie wir sie in diesen Tagen erleben, sind weder ›Terrorismus‹ noch Anstiftung hierzu, sondern Ausdruck des gewaltlosen Kampfes der Palästinenser*innen für ihr Leben und ihre Rechte.« 500 Menschen folgten dem Aufruf und demonstrierten im Zentrum Tel Avivs.

Während die israelische Regierung das Vorgehen als Schutz vor der Hamas verteidigte, ist das Entsetzen bei den israelischen Linken groß. Die sozialistische Oppositionspartei Chadasch/al-Dschabha äußert sich folgendermaßen: »Die Krise im Gazastreifen verschärft sich erneut. Wieder gibt es Warnungen vor Eskalation, wieder bereitet sich die Armee auf einen Krieg vor, es wird wieder geschossen, wieder heulen die Sirenen, und die Angstzustände im Süden häufen sich. Erneut riegeln die israelischen Behörden den Gazastreifen verstärkt ab, reduzieren Transit- und Arbeitserlaubnisse, verhindern den Fortgang des Wiederaufbaus des durch die vergangenen Kriege beschädigten Gazastreifens, während die Armee immer wieder in Gaza Verhaftungen und Angriffe durchführt. Die Lüge ›Israel hat Gaza verlassen‹ glaubt niemand mehr. Und in der Regierung? Sie behandeln die Kriege in Gaza als Routine und konkurrieren mit denjenigen, die eine noch härtere Gangart fordern und damit die Tötung von mehr Zivilisten und das Blut von unbewaffneten Demonstranten in Kauf nehmen. Mehr Gewalt ist Teil des Problems und kein Teil der Lösung: Stoppt die Belagerung von Gaza!«

Knesset-Mitglied Dov Khenin (Chadasch/al-Dschabha) fordert angesichts von Schusswaffenbeschuss auf unbewaffnete Demonstrant*innen und Aufnahmen, die nahelegen, dass Menschen sogar in den Rücken geschossen wurden, eine Untersuchung der Ereignisse an der Grenze zum Gazastreifen. Dieser Forderung stimmt auch die linksliberale Partei Meretz zu. Ihre Vorsitzende, Knesset-Mitglied Tamar Zandberg machte einen Solidaritätsbesuch in der grenznahen israelischen Stadt Sderot und erinnerte an einige grundlegende Fakten über Gaza: »In Gaza werden zwei Millionen Menschen seit mehr als zehn Jahren abgeriegelt.

Eine Million von ihnen ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Strom steht nur wenige Stunden pro Tag zur Verfügung, es herrscht gravierender Mangel an Trinkwasser, Medikamenten und medizinischer Versorgung. Dies ist eine Realität, die angesichts der großen Nähe zu bestens funktionierenden Städten wie Tel Aviv und Sderot untragbar ist … Als Folge kam es in den vergangenen zehn Jahren zu fünf Militäroperationen, unzähligen Raketenbeschüssen und wiederholtem Alarm in der Umgebung von Gaza und in ganz Israel, zum Verlust von Menschenleben, wir müssen die Belagerung des Gazastreifens aufheben, den Gazastreifen mit internationaler Hilfe wiederaufbauen, humanitäre Restriktionen lockern und ernsthaft eine langfristige Lösung für das gesamte palästinensische Volk suchen - in der Westbank und im Gazastreifen. Das sollten wir anstreben - und nicht auf den nächsten Krieg warten.« Zudem würde eine weitere Eskalation die im Gazastreifen herrschende Hamas, die von Zandberg als verabscheuungswürdige Terrororganisation bezeichnet wird, stärken, was nicht nur Israel, sondern auch den Palästinenser*innen selbst schaden würde.

Tsafrir Cohen leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1084069.konflikt-in-nahost-schwarzer-freitag-in-gaza.html