nd-aktuell.de / 06.04.2018 / Kultur / Seite 14

Zu viele bürgerliche Gene

Claus-Jürgen Göpfert und Bernd Messinger erinnern an die studentische Rebellion in Frankfurt am Main

Dirk Farke

Auffallend häufig findet sich in der Neuen Rechten, allen voran bei ihrem parlamentarischen Arm, der Alternative für Deutschland (AfD), die Chiffre »1968« als deutlich negativer Referenzpunkt. Frauke Petry strapaziert den Begriff der »Kulturrevolution von 1968«, und AfD-Sprecher Jörg Meuthen faselt gern und häufig vom »links-rot-grün verseuchten und versifften 68er-Deutschland, von dem wir die Nase voll haben«.

Der Redakteur der »Frankfurter Rundschau«, Claus-Jürgen Göpfert, hat zusammen mit dem Grünen-Politiker Bernd Messinger über die Ereignisse vor einem halben Jahrhundert ein Buch geschrieben. In Gesprächen mit damaligen Protagonisten in Frankfurt am Main, zum Beispiel dem Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, dem Verleger KD Wolf oder dem Schriftsteller Peter Härtling, wird unter anderem der Frage nachgegangen, was es mit dem »Mythos 1968« auf sich hat. Gab es tatsächlich eine politische und gesellschaftliche Aufbruchsstimmung mit Tendenzen zu einer emanzipierten, antikapitalistischen Gesellschaft, vor der den Rechten noch heute die Knie schlottern?

Die beiden Autoren wollen, auch wenn sie das nicht konsequent durchhalten können, ihre Untersuchung auf die Großstadt am Main beschränken, und das ergibt aus mehreren Gründen durchaus Sinn. Frankfurt war damals die amerikanischste Stadt Deutschlands. Nahezu der gesamte Nachschub für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA gegen Nordvietnam lief über den Frankfurter US-Militärflughafen. Als »eine ideologische Triebfeder« bezeichnen die Autoren die »Ho Ho Ho Chi Minh«- Rufe, die damals natürlich auch in Frankfurt zu hören waren.

Göpfert und Messinger intendieren, die intellektuellen Grundlagen für die Veränderung der bürgerlichen Gesellschaft aufzuzeigen. Da gerät natürlich vor allem die Goethe-Universität in den Fokus mit ihrem lange vor der Revolte bereits berühmt-berüchtigten Institut für Sozialforschung, gegründet von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Bereits 1953 rief Horkheimer die akademische Jugend dazu auf, »den Geist der realen und tätigen Demokratie (zu) praktizieren«. Eben darauf berief sich jene denn auch 15 Jahre später. Gemeinsam mit Adorno veröffentlichte Horkheimer 1947 »Die Dialektik der Aufklärung«, in den 1960er Jahren nicht nur in Frankfurt am Main das Vademecum der Revolte. Vor allem wegen Adorno immatrikulierten sich junge Leute in Frankfurt am Main, ihn wollten sie hören, ihn aber auch kritisieren - ob seiner »total autoritären Vorstellung«, allein am Katheder zu dozieren, während sie sich mit der Rolle der Zuhörer begnügen sollten.

Allen voran Joseph »Joschka« Fischer. Am Osterwochenende 1968 aus Stuttgart mit seiner jungen Frau in Frankfurt ankommend, wollte der Metzgersohn Adorno lauschen. Ach, wenn er doch nur ansatzweise ein Minimum von dem verstanden hätte, was der Philosoph erzählte! Im Dunstkreis militanter Frankfurter Linksradikaler in den 1970er Jahren aufstrebend, kehrte er schließlich als grüner Außenminister in den warmen und so bequemen Schoß des bourgeoisen Systems zurück, aus dem er kam, und war federführend daran beteiligt, dass erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in eine blutige Schlacht, auf dem Balkan, geschickt wurden. Die devote Erfüllung lobbyistischer Interessen der Großbanken und des Großkapitals waren insofern nur folgerichtig. Fischer versinnbildlicht mit seinem Lebenslauf den Werdegang des größten Teils der gesamten Bewegung: zunächst der Marsch durch und dann in die Institutionen. Seine Vita hätte in diesem Buch als exklusives Negativbeispiel mindestens ebenso viel Raum verdient wie die der erwähnten intellektuellen Protagonisten.

Es ist bittere Ironie, dass sich die Schriften der Frankfurter Schule recht eindeutig an die wohlhabenden Bürgersöhne richteten, also die Schicht, aus der die revoltierenden Achtundsechziger nahezu ausnahmslos stammten und deren Macht sie eigentlich stürzen wollten. Ein Widerspruch in sich, der nur in der totalen Niederlage enden konnte. Diese Geschichte war bereits zu Ende, bevor sie begann, die reale Geschichte ist es freilich nicht.

Claus-Jürgen Göpfert/Bernd Messinger: Das Jahr der Revolte. Frankfurt 1968. Schöffling & Co., 304 S., geb., 22 €.