Al Paterno

Al Pacino spielt einen Football-Trainer, der in einen sexuellen Missbrauchsskandal verwickelt ist

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Al Pacino ist ein Schauspieler von solcher Wucht, dass die Leinwand förmlich zittert, sobald er darauf auftaucht. Wenn Al Pacino nun selber zittert, wenn der ewige Mafiaboss als hilfloser Krebspatient barfuß durch den Klinikflur irrt, wenn Verfall und Alter von seiner Filmrolle Besitz ergreifen, bis nichts mehr übrig bleibt vom Denkmal zahlloser Gangsterepen - dann ist das beim Zusehen zutiefst verstörend, kläglich, trostlos. Und genial.

Auch den nahenden Tod durch Vergänglichkeit spielt der Sohn eines emigrierten Sizilianers schließlich mit einer Brillanz, die nicht nur extrem realistisch ist, sondern real. Mit 77 Jahren verkörpert er ab Freitag auf Sky nämlich den gleichaltrigen Joe Paterno, einen Mann von ähnlich monolithischer Präsenz, der wenige Wochen vor seinem Tod zum erfolgreichsten Football-Coach der US-amerikanischen College-Geschichte aufgestiegen war und Tage später ins Bodenlose fiel. Denn Paterno wurde nach dem 409. Sieg des Penn State genannten Teams als Protagonist eines Skandals entlarvt, der die ganze Nation bewegte.

Jahrelang hatte Paternos Ko-Trainer Jerry Sandusky Nachwuchsspieler missbraucht, wovon sein Vorgesetzter zwar früh erfahren, aber ebenso wie fast die gesamte Hochschulleitung geschwiegen hatte. So wurde JoPa, wie die Sportlegende auch jenseits der Pennsylvania State University ehrfürchtig hieß, zum Teil eines Vertuschungskartells, dem die junge Journalistin Sara Ganim (Riley Keough) - obwohl sie selbst Penn-State-Fan ist - mit großer Hingabe nachspürt. In wechselnden Flashbacks von Paternos Krebsdiagnose über seine sportlichen Erfolge bis hin zum unaufhaltsamen Niedergang, skizziert der Film ebenso authentisch wie unterhaltsam die Funktionsweise solcher Netzwerke. Vor allem aber: was das Ganze über die USA sagt.

Nach einem Drehbuch von Debora Cahn und David McKenna erzählt Regisseur Barry Levinson in »Paterno« ja nicht nur die Geschichte eines männlichen Machtzirkels, der sich bürgerlich gibt und gegenteilig handelt; es geht um eine Leistungsgesellschaft, in der Werte nur solange von Belang sind, bis sie Ruhm, Erfolg, eben die Leistung beeinträchtigen. Ein Missverhältnis, für das sich kein Darsteller mehr eignet als Al Pacino. Seine Figur vereint alles, was die USA so groß und zugleich so klein macht. Im selbstherrlich knarzigen Tonfall der eigenen Unangreifbarkeit klingen Sätze à la »Das war nicht mein Job« oder »Wir wurden selbst belogen« wie der perfekte Soundtrack einer prinzipientreu-scheinheiligen Nation im Dauerstreit um die eigenen Werte.

Eine Schlüsselszene ist, wie Paternos Sohn den Bruder für die Wortwahl »acht gefickte Kids« maßregelt, weshalb Papa um Ruhe bittet, weil er ein Footballmatch schaut. In einer weiteren grölen demonstrierende Fans nach der Entlassung ihres Trainer-Idols »Fuck the media«, statt deren Enthüllung zu reflektieren. Beides verdeutlicht, wie Empathie und Moral in den USA an der Oberfläche hermetisch versiegelter Filterblasen bleiben. Beides zeigt zudem, mit wie viel Zurückhaltung der Sender HBO diesen unfassbaren Fall realen Machtmissbrauchs inszeniert. Am Ende erfährt Sara Ganim - die für ihre Berichterstattung zum Fall später den Pulitzerpreis erhielt - übrigens, dass der Skandal noch viel weiter zurückreicht. Ob Joe Paterno, genannt JoPa, davon wusste, wäre Teil einer zweiten Staffel. Aus der Football Hall of Fame, so liest man im Internet, wurde er jedenfalls nie entfernt.

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