nd-aktuell.de / 06.04.2018 / Politik / Seite 2

»Alles muss geändert werden«

Für den Linkskandidaten Gergely Karacsony ist der Sieg von Fidesz noch nicht ausgemacht

Thomas Roser
Als Sie sich im letzten Jahr zum Spitzenkandidat küren ließen, schien Ihre Wahlmission noch ziemlich aussichtslos. Warum traten Sie dennoch an?

Lange trat die Opposition nicht geeint gegenüber der Fidesz-Partei von Viktor Orbán auf. Auch ich hatte sie kritisiert, gegenüber Fidesz keine Visionen zu entwickeln. Doch ich gelangte an einen Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, dass ich nicht mehr nur reden, sondern auch etwas tun müsse. Ich bin einer der beliebtesten Politiker in Ungarn. Und ich glaubte, dass ich es mir nicht mehr erlauben könne, nichts zum Erfolg der Opposition beizutragen.

Überraschend hat die Opposition vor kurzem die Bürgermeisterwahl in der Fidesz-Hochburg Hodmezövarhely gewonnen. Was rechnen Sie sich für die Parlamentswahl aus?

Den Sieg, was sonst (lacht). Fidesz ist schwächer, als wir angenommen haben. Die Partei tat in Hodmezövarhely dasselbe, was sie in ganz Ungarn tut: Großzügige Gefälligkeiten für die eigene Klientel und Einschüchterung der politischen Gegner. Doch was Fidesz erreichte, war genau das Gegenteil: Es gingen mehr wählen, als jeder erwartet hatte. Orbán setzt diese verfehlte Politik fort. Mit seinen Drohungen mobilisiert er ungewollt die Oppositionswähler.

Was ist denn Ihre Strategie? Dass beim Kampf um die entscheidenden Direktmandate möglichst wenig Oppositionsstimmen verloren gehen?

Wenn man die Stimmen der demokratischen Oppositionsparteien zusammenzählt, kamen Sie schon bei den Wahlen 2014 in einem Drittel der Wahlkreise gemeinsam auf mehr Stimmen als Fidesz. Wir streben darum deren geeintes Auftreten an.

Sie meinen ein geeintes Auftreten zur Unterstützung des jeweils aussichtsreichsten Oppositionskandidaten. Wäre für Sie auch eine Kooperation mit der rechtsextremen Jobbik vorstellbar?

Ich sehe keinerlei Möglichkeit einer formalen Kooperation mit Jobbik. Aber wir wissen, dass Jobbik in einigen wenigen Wahlkreisen klar stärker ist als wir. Da unsere Ressourcen ohnehin begrenzt sind, werden wir sie möglichst effizient nutzen, also nicht in diesen Wahldistrikten. Wir müssen uns auf die Großstädte und Budapest konzentrieren.

Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?

Ich sehe drei mögliche Szenarien. Erstens: Fidesz gewinnt erneut - die entscheidende Frage wäre dann, mit welcher Mehrheit. Ein anderes Szenario ist, dass Fidesz die absolute Mehrheit im Parlament verfehlt. In diesem Fall müsste die gesamte Opposition eine zeitliche befristete Allianz zur Änderung der Wahlgesetze eingehen, der dann beispielsweise nach einem halben Jahr Neuwahlen folgen könnten. Beim dritten Szenario holt die Linke einschließlich der Liberalen und Grünen die absolute Mehrheit und könnte so eine eigene Regierung bilden.

Was würden Sie in diesem Fall ändern wollen?

Alles muss hier geändert werden, vor allem was Gesundheitswesen, das Erziehungssystem, die Arbeitslosigkeit und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft angeht. Mein Plädoyer für eine soziale Demokratie ist nicht nur die Antwort auf die illiberale Demokratie der letzten acht Jahre, sondern auch Kritik an der Art und Weise, wie sich Ungarn in den 20 Jahren zuvor entwickelt hat, als meistens Linksregierungen an der Macht waren.

Falls Fidesz erneut gewinnen sollte, womit wäre in Ungarn zu rechnen?

Fidesz hat seinen Zenit längst überschritten. Ohne die Flüchtlingskrise von 2015 könnte sich die Partei schon jetzt kaum mehr behaupten. Die Anti-Migrantenpropaganda der Partei hat zwar noch immer einen gewissen Effekt. Doch auch wenn Fidesz noch einmal gewinnen sollte, sind die weitere Erosionserscheinungen und Verluste der Partei bei den Kommunal- und Europawahlen im nächsten Jahr unvermeidlich.

Fürchten Sie bei einem Sieg von Orbán eine verschärfte Gangart gegenüber der Opposition?

Ja, jedes autoritäre Regime sucht immer neue Feinde, um ein Gefühl der Bedrohung zu verbreiten und die Unterstützung der eigenen Anhänger aufrechtzuerhalten. Orbán hat angedroht, die Opposition nach der Wahl zu sanktionieren. Nur Putin und Erdogan sprechen eine solche Sprache - zwei Staatsführer, mit denen er sich besonders gut versteht. Doch mit den Drohungen gegen die Opposition droht er auch deren Wählern - und treibt die Leute an die Urnen, die den Wechsel wollen.