nd-aktuell.de / 10.04.2018 / Kultur

Das Schwarze, das Weiße

Lothar Reher tot

Hans-Dieter Schütt

Früherkennung. Ein Wort der Vorsorge, der Vorwarnung - wir mögen nicht, wenn uns das Falsche zur Unzeit trifft. Als sei überhaupt je der richtige Moment für das Missliebige. Aber Früherkennung ist auch ein Adelswort. Eine Vorfreude-Vokabel. Eine Botschaft für Einstimmung und Wiedersehensglück. Früherkennung zum Beispiel, wenn man eine Unmenge von Büchern vor Augen hat - und erwartungsvoll und geradezu aufatmend aufs Unverkennbare, aufs schöne Gewohnte trifft.

Etwa die Buchreihen-Gestaltung des Lothar Reher. Das in Schwarz getauchte Welttheater auf den Titeln der zahllosen »Spektrum«-Bände des Verlages Volk und Welt. Fotografie und Schrift zu Collagen inszeniert, die Menschen und Situationen ins Geheimnis tauchten oder in die scharfe Kontur. Schattenkühle und Farbtemperaturen. Einfühlende bildnerische Atmosphären, die mit Eigensinn aufs jeweilige Buch vorbereiteten. Im gleichen Verlag ediert: die weiße Lyrik-Reihe mit ihren Pergamenthüllen, darunter kleine Schau-Fenster ins Ornament, ins Filigrane, ins Kritzelkindische, ins Zeichenfremde. Lothar Reher in künstlerischer Partnerschaft mit Horst Hussel.

Reher, lange Jahre künstlerischer Leiter des Verlages Volk und Welt, wurde 1932 im ostpreußischen Marienburg geboren. Ein Schriftsetzer, ein Typograf und Bildweltenschöpfer. Er liebte das Bedruckte, und er liebte, wie etwas bedruckt wurde. Sinn und Form? Form selber ist Sinn - und Sinnlichkeit. Eine schwere Kunst: mit Buchgestaltung »nur« zu dienen, ohne dass Herrschsucht keimt; große Kunst: so zu dienen, dass Charakter entsteht und Zuarbeit Kunst wird. Der dürftige Begriff des Schutzumschlages führt daher im Falle Reher in die falsche Richtung; er fabrizierte keine kalten Umschläge, er schrie sein Hand- und Kopf- und Herzwerk nicht ins auffällig Bunte hinein; seine Buchgestaltung schützte nicht, sie öffnete.

»Schönste Bücher« - er hat vielen, damit sie es in der DDR und international werden konnten, ein Gesicht gegeben. Da, im Regal, die Dramen-Reihe mit ihrem solitär aufragenden Buchformat. Oder da, die zwei goldfarbenen Cocteau-Bände, zweibändig auch Peter Altenberg. Dort, die »Erkundungen« in die internationale Erzählkunst oder »Ex Libris«, die fein und adlig wirkende Weltroman-Reihe. Und seit 1984 trugen auch die Reclam-Bände aus Leipzig das Gütesiegel von Rehers künstlerischer Maßschneiderei.

Sein Zauber lag im Schulterschluss des Augenfälligen mit dem Dezenten. Bildung und Herzensbildung strebten zueinander; noch das klar Gesetzte war bei Reher ein Unterricht in Gründen, die das Leben unergründlich halten. Und immer geht es darum, wegen und trotz dieser Gründe den Ausdruck zu feiern. Der das schwer Fassbare lebbar macht. Schauen statt nur sehen - so geht man bei Lothar Reher aufs Buch zu. Am vergangenen Freitag ist er mit 85 Jahren in Berlin gestorben.