nd-aktuell.de / 14.04.2018 / Kultur

Neues braucht neue Leute

Von Frauenpower, Politikfrust und der seltenen Gabe, authentisch zu sein

Sie wurde als Tochter eines Pianisten in Berlin geboren. Ihre Mutter war Hausfrau, bevor sie sich entschloss, einen kleinen Tabakladen zu führen. »Sie kam vom Lande und hatte die Ausbildungsmöglichkeiten eben nicht, sondern, wie damals üblich, Kochen und Wirtschaftsführung gelernt«, erklärte dazu die von uns Gesuchte, die zunächst in Westberlin zur Schule ging. Da sie mit ihrer Familie jedoch im Ostteil der Stadt wohnte, musste sie schließlich auch dort die Schule besuchen.

Sie trat weder den Pionieren noch der FDJ bei und fand früh Anschluss an die Junge Gemeinde. Nach dem Abitur wollte sie Bibliothekswissenschaften studieren. Doch sie wurde abgelehnt - mit dem Argument, dass nicht genug Studienplätze vorhanden seien. Weiter hieß es im Schreiben der Universität: »Sie haben die Möglichkeit, Ihre Bewerbung zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen. Für die Zwischenzeit müsste dann eine gute fachliche und gesellschaftliche Arbeit durch die Delegierung eines sozialistischen Betriebes erfolgen.«

Die Sache war für sie damit erledigt, und sie spielte mit dem Gedanken, Krankenschwester in einer kirchlichen Einrichtung zu werden. Doch dann erhielt sie den Auftrag, in einem Ferienlager den Biologiekurs für Kinder zu betreuen. »Das hat mir Spaß gemacht, Nachtfalter mit der Lampe zu fangen und solche Sachen.« Durch Vermittlung einer Freundin kam sie an das Zoologische Institut der Humboldt-Universität und begann ein Biologiestudium. Zuvor musste sie versprechen, das Abzeichen der Jungen Gemeinde nicht offen zu tragen. »Diesen Kompromiss bin ich eingegangen«, gestand sie.

Nachdem sie ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, heiratete sie einen Freund aus der Kirchengemeinde, mit dem sie drei Kinder hatte, zwei Töchter und einen Sohn. Von der Universität führte ihr Weg in die Produktion. Sie erhielt eine Anstellung in einem volkseigenen Chemiebetrieb und wurde zur stellvertretenden Leiterin der Pharmakologischen Abteilung ernannt. Fast 15 Jahre übte sie diese Funktion aus, danach war sie als Bereichsleiterin in der Zentralstelle für Diabetes und Stoffwechselkrankheiten tätig. Zwischendurch bewarb sie sich erfolgreich um eine außerplanmäßige Aspirantur und schrieb in dieser Zeit ihre Doktorarbeit.

Als die DDR auf ihr Ende zusteuerte, fasste sie den Entschluss, sich aktiv in die Politik einzumischen. »Das war die Einsicht in die Notwendigkeit: Wenn etwas anders werden soll, müssen das auch andere Leute machen.« Anfangs engagierte sie sich in der Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt«, dann wechselte sie zur neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei, die sich später mit der SPD vereinigte. Bei den ersten freien Wahlen in der DDR errang sie ein Volkskammermandat und trat als Ministerin in eine von der CDU geführte Mehrparteienregierung ein. Als diese zerbrach, legte sie ihr Amt nieder.

Wenig später wurde sie Mitglied der Brandenburgischen Landesregierung und durch ihre forsche Art, sich für die Rechte von Benachteiligten einzusetzen, in ganz Deutschland bekannt. Als die Brandenburger SPD eine große Koalition mit der CDU einging, trat sie aus Protest zurück; sie hatte ein Zusammengehen mit der PDS favorisiert. Zu dieser Zeit war sie bereits an Brustkrebs erkrankt. Entschlossen kämpfte sie gegen die Krankheit und ließ währenddessen auch ihre Arbeit nicht ruhen. Auf einem Parteitag der SPD wurde sie mit dem besten Ergebnis aller Kandidaten erneut in den Vorstand gewählt. Kurz darauf verlor sie den Kampf gegen den Krebs und starb mit 60 Jahren im Kreis ihrer Familie. »Ich glaube nicht, dass sie zu ersetzen ist«, erklärte einer ihrer Parteifreunde. »Wer hat schon ihre Überzeugungskraft, ihr Mundwerk, ihre Ausdauer, ihre Fähigkeit zu lauten und leisen Tönen.« Tatsächlich ist in der politischen Klasse bis heute niemand zu erkennen, der ihren Platz einnehmen könnte. Wer war's?