nd-aktuell.de / 14.04.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 26

Das Giftlabor auf dem Handschuh

Reinhard Renneberg

Wie die Zeit vergeht! Gerade schaut mir mein amerikanischer Freund und Biosensor-Kollege Joseph Wang aus der »Chemical & Engineering News« strahlend entgegen. Der umtriebige Amerikaner hat sich in 20 Jahren kaum verändert. Er hat zwei Schutzhandschuhe übergestülpt und hält triumphierend eine Tomate zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Ein Geschmackstest? US-Tomaten sehen toll aus und schmecken intensiv nach: nichts. America first!

Nein! In der linken Hand zeigt sein Handy zwei elektrochemische Messkurven an: »Achtung, Nervengift! GEFAHR!«

Joe Wang demonstriert typisch lässig-amerikanisch seine neueste Erfindung: Ein Chemielabor integriert in einen Handschuh: »Lab-on-a-glove«.

Farmer in aller Welt benutzen seit dem Zweiten Weltkrieg Organophosphate als Insektizide. Diese Nervengifte hemmen bei Kerbtieren Reaktionen des Enzyms Acetylcholinesterase, sie akkumulieren sich aber, im Gegensatz zu Chloraromaten wie DDT, kaum in den Lebensmitteln. Geniale Idee von Joe: Der Farmer ist vor dem Nervengift geschützt und kann direkt messen, ohne Labor.

Auf dem Handschuh sind Elektroden auf Daumen und Zeigefinger aufgedruckt. Sie müssen natürlich wie der Handschuh dehnbar sein. Sie tragen auch noch aufgedruckte trockene Enzyme und deren Substrat.

Nimmt man nun beispielsweise eine unbehandelte Tomate zwischen Daumen und Zeigefinger, schließt sich durch die Feuchtigkeit der Tomate ein Stromkreislauf. Das trockene Substrat wird feucht, vom nun feuchten Enzym in ein elektrochemisch aktives Produkt verwandelt und das elektrische Signal vom Handschuh an das Handy übermittelt: »NO DANGER!«

Anders bei Organophosphaten auf der Tomate: Das Enzym kann nicht sein Substrat wandeln, wird gehemmt. Das Handy blinkt: »DANGER!« Man weiß nun zwar nicht, was da gefährlich ist, wird aber zumindest gewarnt. Auch toll zur Lebensmittelkontrolle auf dem Wochenmarkt.

Und auch das Militär wäre wohl interessiert. Wurde doch gerade erst in London ein russisch-britischer Doppelagent mit Organophosphaten attackiert, von wem auch immer.

Apropos Wochenmarkt. Joe erzählte mir vor langen 20 Jahren auf einem Kongress von seinem ersten bleibenden Eindruck von Deutschland, pardon: eigentlich von Bayern. Als der, nun ja, etwas asiatisch aussehende Yankee an einem Obststand in München mehrere bayrische Äpfel nacheinander ganz harmlos prüfend in seine Hand nahm, rief die dirndl-gewandete Bäuerin empört: »Naahm’s Daan Pfoaten weg, Saupreiss…!« Und milderte dann noch lachend ab: »Saupreiss ... japonischer!«

Ich bin schon mal gespannt, wie Wang auf dem Münchner Viktualienmarkt empfangen wird, wenn er seine tollen Biosensor-Schutzhandschuhe trägt.