Mozart ist Indianer

Milos Forman ist tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der österreichische Dichter Thomas Bernhard schrieb vom wahren Abenteuerort des Lebens, es ist »die Grenze zur Verrücktheit«. Ein schmaler Grat, ein Existenzbegründungs- und ein Existenzvernichtungsstreifen. Es gilt, sich solcher Grenze immer wieder zu nähern - aber sie um Gottes willen niemals zu überschreiten. An solcher Grenze leben sie alle, die Gestalten des Filmregisseurs Milos Forman: Tom Hulces »Amadeus«, im »Kuckucksnest« der McMurphy des Jack Nicholson und der von Will Sampson verkörperte alte Indianer Bromden oder Stellan Skarsgards Goya in »Goyas Geister«. Ungehörige, deren offenherzige, schutzlose Unbändigkeit eine Einladung an die Welt ist, von ihr gebrochen zu werden.

Vom tschechischen Caslav, wo Forman 1932 geboren wurde, bis nach Kalifornien, wo der Regisseur 1975 die US-Staatsbürgerschaft annahm: der weite Weg eines Waisen. Die Eltern, deren Verhaftung durch die Gestapo der Junge mit ansehen musste, überlebten nicht - die Mutter nicht Auschwitz, der Vater nicht Buchenwald.

Forman studierte Filmregie, sein Spielfilm »Der schwarze Peter« (1964), Porträt eines rebellischen Jungen, brachte erst die Zensoren auf, dann Preise ein. Als Moskaus Panzer 1968 Prag blockierten, kehrte der Künstler nicht in den vermeintlichen Sozialismus zurück. Der hatte zuvor seinen Film »Feuerwehrball« (1967) verboten, eine filmische Satire auf die Funzelstrahlkraft des allgemein herrschenden Parteigeistes. Nouvelle Vague in Prag. Formans Filme waren in ihrem Widerstand nie verschlüsselt oder hermetisch. Sie entfesseln das Bild, färben es ein bis zur Opulenz, sind von wirklichkeitsverachtender Spottwucht und unbelehrbarer Naivität. Man hat ihn den US-amerikanischsten Regisseur unter den Europäern genannt und in ihm den untilgbaren Europäer Hollywoods gesehen.

Diese künstlerische Biografie steht für die Mobilisierung der Talente im Ostblock und schließlich für das Ende aller systemwilligen, melancholischen Liebenswürdigkeit. Formans Kunst genoss den Aufbruch, sie vollzog dann konsequent den Ausbruch. Und im Westen dann eine Ankunft in neuer Gefährdung: im Kommerz - der naturgemäß, zu allen Zeiten, in die Kelche des Erfolges das Gift der Verwässerung mixt. Forman hat nach seinem Weggang in die USA erfahren müssen: Die Gleichgültigkeit des Marktes ist die treue Schwester der Freiheit. Immer wieder zwischen den Meisterwerken: gängige filmische Handelsware und eine bewundernswert stoische Ruhe des Regisseurs, die eigene Routine freundlich und unverbittert zu ertragen (»Hair« (1979), »Ragtime« (1981), »Valmont« (1989)). Geduldig wartete er auf Eingebungsblitze - kamen sie nicht, kamen wenigstens Einnahmen.

Formans Kino ist bunt, prall, es tobt gern. Häuptlingssohn »Chief«, der aus dem Irrenhaus ausbricht, und der genial komponierende Punk Amadeus - gleichsam ein gemeinsames Wesen sind sie, das übers Kuckucksnest fliegt. Und das sich in die konsequenteste, tragischste aller Anarchien wirft: Ich zu sagen. Der Indianer heißt Mozart, der Mozart ist Indianer.

Nun ist Milos Forman im Alter von 86 Jahren gestorben.

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