Hinschauen und Ranschmeißen

In seinem dritten »Remix«-Band verwebt Benjamin von Stuckrad-Barre Trash und Hochkultur

  • Helen Roth
  • Lesedauer: 3 Min.

Nachdem Benjamin von Stuckrad-Barre, das Enfant terrible der deutschen Popliteratur, mit »Panikherz« einen Seelenstriptease allererster Güte geboten hat, knüpft er mit seinem neuen Buch an sein literarisches Schaffen vor seiner großer Drogenbeichte an. Der ausgewiesene Narzisst wendet damit seinen sezierenden Blick vom eigenen Innenleben wieder ab, hin zur Gegenwart der anderen.

Zwar ist man bei dem schönen langen Titel »Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen« kurz geneigt zu glauben, die folgenden Seiten wären wieder dem Exzess gewidmet, doch der Untertitel »Remix 3« belehrt schnell eines Besseren. Stuckrad-Barres neuestes Buch ist das dritte Album der Remix-Reihe. Diese startete 1999 mit dem gleichnamigem Werk, 2004 folgte mit »Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft« die zweite Sammlung von Reportagen und Geschichten - nun wird das Hinschauen und Ranschmeißen im dritten Teil fortgeführt. Unter den 25 Artikeln aus Zeitungen und Zeitschriften, finden sich auffällig viele Porträts männlicher Zeitgenossen. So schaut Stuckrad-Barre zum Auftakt der Sammlung zusammen mit Boris Becker ergriffen auf dessen heimischem Sofa das legendäre Wimbledon-Finale von 1985 oder resümiert über seine Erfahrungen, mit dem großen Regisseur Helmut Dietl ein Drehbuch zu schreiben. Ferner schaut er seinem Freund Christian Ulmen bei der Verwandlung in dessen Paraderolle Uwe Wöllner zu und spricht mit Deutschlands einst bekanntestem Seelsorger, Jürgen Fliege, über dessen jähen Fall in die Bedeutungslosigkeit der Quacksalberei.

Auf den ersten Blick erscheinen die Texte in Stuckrad-Barres üblichem Plauderton oberflächlich. Gar könnte man meinen, der Autor zappt lediglich munter durch die letzten zehn Jahre der deutschen Medien- und Kulturlandschaft. Doch des Popliteraten Plaudern ist nie ein simples Labern, sondern vielmehr das genaue Gegenteil davon. Sein Schreiben hat einen eigenen Rhythmus - er weiß, wann er das Tempo durch kurze Sätze, wörtliche Zitate und exaltierte Satzzeichen anziehen oder durch gekonnte Wortneuschöpfungen wieder zügeln muss, die den Rezipienten zum genaueren Lesen zwingen.

Darüber hinaus findet sich auch viel Kluges und Informatives in den Texten, was den geneigten Feuilletonleser besonders freuen dürfte. Ein wahres Kleinod in diesem Sinne ist etwa die Kurzgeschichte »Tattoos«. Nicht nur auf stilistischer Ebene ist Stuckrad-Barre hier auf dem Höhepunkt seines Könnens, nein, er spannt auch einen literarischen Bogen, der so manchem Germanisten ein Freudentränchen in die Augen treiben sollte. Mit dem Brecht-Zitat »Die weiße Wolke ungeheuer oben, und als ich aufsah ...« rundet er den Report über die Vergänglichkeit vermeintlich ewiger Liebe in intellektueller wie persönlicher Weise gekonnt ab. Was bleibt - ein Tattoo, das wortwörtlich unter die Haut geht.

Im Grunde besteht genau darin der Reiz von Stuckrad-Barres neuestem Werk - die Verwebung von Trash und Hochkultur. Stuckrad-Barre wühlt dabei tief in der jüngsten Nostalgie-Kiste. Längst sind nicht mehr alle Namen, gerade die von B-Promis wie Sylvie van der Vaart, heute Meis, bekannt. Auch das einst gefeierte Guttenberg-Paar wirkt längst wie ein verblasstes Polaroid. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie alle, um es mit einem Wort des Autors zu sagen, durch die »Ikonenzerbröselungsmaschinerie« der Medien gedreht wurden. Im neuen Sammelband haben sie einen Platz gefunden, der noch mehr über den Zeitgeist berichtet als über sie selbst.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen. Remix 3. Kiepenheuer&Witsch, 305 S., geb., 20 €.

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