nd-aktuell.de / 19.04.2018 / Politik / Seite 2

Unten und oben mehr

Der Abschluss im öffentlichen Dienst kann sich sehen lassen, man muss nur genau hinschauen

Ines Wallrodt

Als gegen 21 Uhr erste Zahlen durchsickerten, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. »Wenn das stimmt, muss ich mich fragen, wofür ver.di gestreikt hat«, twitterte einer, »beschämend«, »schwach«, »miserabel«, waren nur einige Attribute aus der Wortfamilie »Enttäuschung«.

Das Social Media Team von ver.di gab sich einige Mühe, die Emotionen runterzukochen. »An alle, die meinen, die Tarifeinigung im öD ohne Kenntnisse von Details und Umfang des gesamten Einigungspakets schon bewerten zu können: Die Gremien aller Tarifvertragsparteien beraten noch darüber. Bitte erst genaue und vollständige Infos abwarten.«

Und diese Gremien hatten in der Tat noch einigen Diskussionsbedarf über das, was die Verhandlungsgruppe ihnen als Ergebnis für die 2,3 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen vorgelegt hatte. Eine Stunde nach Mitternacht vermelden alle Seiten dann die Einigung. Horst Seehofer, Verhandlungsführer für den Bund, und ver.di-Chef Frank Bsirske frotzeln ein bisschen herum und zeigen sich beide höchst zufrieden. Es sei das »beste Ergebnis seit vielen Jahren«, sagt der Gewerkschaftschef.

Nichts zu spüren davon, dass noch kurz zuvor die Zustimmung in ihren jeweiligen Gruppen keineswegs sicher war, weder unter den Vertretern der Kommunen, noch bei den Tarifkommissionen auf Gewerkschaftsseite. Noch am Abend hatte es so ausgesehen, als ob neue Warnstreiks nach den jüngsten massiven Ausständen etwa im Nahverkehr noch nicht vom Tisch seien. Zuerst drohte sich die Mitgliederversammlung des kommunalen Arbeitgeberverbands VKA querzulegen, vor allem wegen der Gehälter in den Sparkassen. Bsirske eilte zur VKA - über die Sparkassen wird nun noch einmal extra verhandelt. Dann zog es sich in die Länge, weil sich in der ver.di-Tarifkommission nicht alle damit abfinden wollten, dass aus der geforderten Mindestanhebung in unteren Berufsgruppen um 200 Euro mal wieder nur eine Einmalzahlung von 250 Euro geworden ist.

Am Ende zäher Verhandlungsstunden stehen nun 7,5 Prozent Plus bis 2020. Selbst wenn man weiß, dass nie das herauskommt, womit die Gewerkschaften in die Verhandlungen gezogen sind: Auf den ersten Blick wirkt das Ergebnis doch deutlich entfernt von den geforderten sechs Prozent in zwölf Monaten, mindestens aber 200 Euro. Und doch: »Miserabel« verhandelt haben die Gewerkschaften nicht. Was der Abschluss wirklich bringt, ist nicht auf einen Blick erkennbar. Ver.di-Chef Bsirske hatte am Dienstag schon vorgewarnt: Der Abschluss ist komplex. Er kann nicht wie früher auf die Form »X Prozent für alle« gebracht werden. Vielmehr wurde die gesamte seit 2005 geltende Tarifstruktur grundlegend neu geordnet.

Das braucht seine Zeit, zumal der Fokus von Gewerkschaften und Arbeitgebern in sehr verschiedene Richtungen ging: Wollten die einen die unteren und mittleren Lohngruppen aufwerten, wollten die anderen mehr Geld lieber in den oberen Gruppen draufschlagen, um so für die gesuchten Fachkräfte attraktiver zu werden. Das erklärt auch, warum die Verhandlungen dann doch länger als die zwei Tage dauerten, die für die dritte Verhandlungsrunde ursprünglich angesetzt waren. Wobei: Ganz überraschend kam die Verlängerung für die Beteiligten nicht. Schon am Sonntag war intern davon die Rede, dass es sich bis Mittwoch ziehen könnte.

Wollen Beschäftigte herausfinden, was der Abschluss konkret für sie bedeutet, müssen sie ganz genau in die neue Tabelle schauen, die auch Mittwochnachmittag noch nicht fertig durchgerechnet vorlag. Klar ist aber: Vor allem Berufseinsteiger und Berufsanfänger profitieren von dem Abschluss. Sie werden künftig mit höheren Einstiegslöhnen in den öffentlichen Dienst gelockt. Um mehr als Prozent sollen ihre Einkommen bis 2020 steigen. »100 Euro mehr an Ausbildungsvergütung und eine Anhebung der Löhne um durchschnittlich zehn Prozent bei Beschäftigungsbeginn. Dies erhöht die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber«, so Bsirske.

Die Gewerkschaft hatte die Arbeitgeber mit dem Vorschlag überrascht, die Gehaltsstufen der Tabelle doch einfach nach links zu verschieben und damit die niedrigsten Löhne in der Stufe 1 abzuschaffen. Dadurch erhöhen sich die Einstiegsgehälter aber nicht nur für die unteren und mittleren Lohngruppen, für die ver.di vor allem ins Feld gezogen ist, sondern auch oben.

Besonders hohe Zuwächse habe man in den Bereichen vereinbaren können, in denen der öffentliche Dienst die größten Personalgewinnungsprobleme auf dem Arbeitsmarkt hat, erläuterte Bsirske: Bei Fach- und Führungskräften, Technikern, Ingenieuren, IT-Fachleuten und bei den sozialen Berufen.

Für Unzufriedenheit unter den ver.di-Mitgliedern wird sorgen, dass einmal mehr die soziale Komponente nicht durchgesetzt wurde, die vor allem die unteren Einkommensgruppen deutlich besser stellen würde. In diesen Bereichen gibt es nun durchschnittlich 80 Euro mehr im Monat. Der Abstand zwischen den Gut- und Geringverdienern im öffentlichen Dienst bleibt damit unverändert hoch. Alle Beschäftigen im öffentlichen Dienst werden in zwei Jahren jedoch mindestens 175 Euro mehr verdienen, betonten die Gewerkschaften.

Dabei können sich die über drei Prozent pro Jahr ebenfalls sehen lassen. Das hat es im öffentlichen Dienst schon länger nicht gegeben, schon gar nicht zwei Jahre hintereinander. Aber auch im Vergleich zu anderen Branchen ist der Abschluss nicht schlecht. Die lange Laufzeit ist ein Zugeständnis an die Arbeitgeber, ebenso das magere eine Prozent im letzten Halbjahr. Aus dem Rahmen fällt dieser Abschluss damit allerdings nicht. In den den letzen Jahren haben sich für Tarifverträge 24, 26 oder gar 27 Monate eingebürgert. Aber dann hätten die Gewerkschaften die Beschäftigten mitten in den Sommerferien in den nächsten Tarifkonflikt rufen müssen. Dann schien es doch besser, weitere drei Monate dranzuhängen.

7,5 Milliarden Euro kostet der Abschluss die Kommunen. Für den Bund fallen 2,2 Milliarden an. Angesichts der Rekordeinnahmen der öffentlichen Hand dürfte das verschmerzbar sein. »Das sind uns unsere Beschäftigten wert«, sagte Seehofer und griff dabei die Gewerkschaftsformel auf. Im Oktober hat er als CSU-Chef in Bayern eine Landtagswahl zu bestreiten. Schon deshalb war er an einem vertretbaren Ergebnis interessiert, zumal er als Verhandlungsführer für den Bund Dienstherr nur von rund jedem zehnten Betroffenen ist. Das Gros ist kommunal beschäftigt.

Aber auch der Deutsche Städtetag kann mit dem Tarifabschluss leben. Mehrausgaben von mehr als sieben Milliarden Euro über die vereinbarte Vertragslaufzeit von 30 Monaten seien »vor allem für strukturschwache Städte mit hohen Sozialausgaben und Defiziten schwer zu verkraften«, sagte zwar Städtetagspräsident Markus Lewe. Dennoch sei der Kompromiss richtig, um die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst an der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland teilhaben zu lassen.