nd-aktuell.de / 27.04.2018 / Politik / Seite 6

Stadelheim und das »neue deutschland«

In Bayern wurde ein Exemplar dieser Zeitung beschlagnahmt, das für einen inhaftierten Sprayer gedacht war

Rudolf Stumberger

Simon B. sitzt seit Oktober vergangenen Jahres in der bayerischen Justizvollzugsanstalt Stadelheim ein. Angeklagt ist er wegen der »wohl seltsamsten Straftaten«, die München seit langem erlebt habe, war in der Presse zu lesen. Konkret: Der 22-Jährige soll Autos und Hauswände mit linken Parolen besprüht haben. Deshalb wurde ihm nun in der Haft ein Brief von und ein Exemplar des »neuen deutschlands« zunächst vorenthalten und »zum Zwecke der Ablichtung« beschlagnahmt. Denn die Postsendung belege die »enge Einbindung des Beschuldigten« in die »sog. linke Szene« und seine Unterstützung durch eben diese Szene, so die behördliche Begründung. »Völlig übertrieben« nennt Rechtsanwalt Mathes Breuer die Maßnahme, er vertritt den Angeklagten.

Im Herbst vergangenen Jahres herrschte Aufregung bei Hausbesitzern und in der lokalen Presse. »Seit Wochen ziehen unbekannte Täter nachts durch verschiedene Münchner Stadtteile und besprühen Autos und Hauswände - in der Nacht auf Samstag haben sie wieder zugeschlagen, diesmal in Trudering«, konnte man etwa in einer Zeitung lesen. 69 Objekte seien mit Parolen und Zeichen beschmiert worden und wegen der »offensichtlichen Übereinstimmungen der gesprühten Graffiti und Texte« ging die Polizei von den gleichen Tätern aus. »Jede Woche neue Hassparolen« und »erneut linke Hass-Schmierereien in München« lauteten die Schlagzeilen. Die Parolen wiederum forderten »Kampf dem Kapital« und »Tod den Yuppies«.

Die ersten Sprühaktionen gab es Anfang September im Münchner Osten, damals seien insgesamt 37 Objekte, darunter mehrere Autos, besprüht worden. Anschließend wanderten die Parolen durch ganz München: Von der Isarvorstadt über den Fasangarten, Giesing, Perlach und Ramersdorf. Am Samstag, den 23. September, sollen 80 Fahrzeuge und 20 Häuser in den Stadtteilen Solln, Fürstenried und Forstenried betroffen gewesen sein. Die Ermittlungen zu der Sprayer-Serie führt »K43« - nach polizeiinternem Sprachgebrauch das Fachkommissariat für politisch links motivierte Straftaten. Als Verhöhnung betrachtete dann die Polizei auch den aufgesprühten Spruch »Denning grüßt K43«.

Um den Sprayern auf die Spur zu kommen - es handelte sich lediglich um Sachbeschädigung - plakatierte die Polizei Zeugenaufrufe und kündigte eine intensivierte Fahndung und Streifentätigkeit an. Freilich schwierig, weil Graffiti ja im ganzen Stadtgebiet auftauchten. Man wolle verstärkt Personen kontrollieren, die nachts mit Rucksäcken unterwegs seien, so die Beamten. Schließlich wurden Simon B. und ein Jugendlicher festgenommen. Die Polizei hatte die Bilder von mehreren Überwachungskameras aus U-Bahnhöfen in der Nähe der Tatorte verglichen.

Der jetzt in Haft sitzende 22-Jährige wurde von der Polizei festgenommen, als er an einer Bushaltestelle saß und wartete. Auf seinem Rucksack stünden laut Polizei dieselben Parolen, wie an den Wänden. Der zweite Festgenommene - ein 16-jähriger Gymnasiast - wurde nachts um drei Uhr in seinem Elternhaus verhaftet, er ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Simon B. schweigt bisher zu den Vorwürfen, so sein Rechtsanwalt. Dass sein Mandant wegen Sachbeschädigung so lange in Untersuchungshaft sitzt, hält er für nicht gerechtfertigt. Zur Beschlagnahmung des »neuen deutschland« sagte Breuer, er finde es »lächerlich, dass die Münchner Justiz jeden Brief ablichten lässt«. Das erschwere den Kontakt seines Mandaten zur Außenwelt. Bisher hat der Rechtsanwalt noch keine Akteneinsicht nehmen können. Die Staatsanwaltschaft München I will den Fall hochhängen und am Landgericht verhandeln, Breuer meint, auch das Amtsgericht würde genügen. Für wann die Verhandlung gegen Simon B. angesetzt wird, ist noch nicht bekannt.