nd-aktuell.de / 28.04.2018 / Politik / Seite 5

Normale Leute, die Tee trinken

Aktivist Nikolaus Brauns im Gespräch über die Kurdistan-Solidarität der deutschen Linken

Sebastian Bähr

Auf der 1. Mai-Demonstration in Berlin sollen Flaggen der kurdischen Bewegung getragen werden. Gab es solche Solidaritätsbekundungen auch 1993, als die PKK verboten wurde?

An derartige Aufrufe in diesem Jahr kann ich mich nicht erinnern. Wir zeigten jedoch 1994 Flagge, als in Hannover der 16-jährige kurdische Jugendliche Halim Dener von der Polizei erschossen wurde, weil er Plakate für die Nationale Befreiungsfront Kurdistans anbrachte. Wir hatten damals in München diese Symbole mit einem Bild von Dener plakatiert.

Der Staat geht derzeit hart gegen linke Kurden und ihre Unterstützer vor. Wie sah die Repression in den 1990er Jahren aus?

Es war sehr heftig. Eine Razzia löste die andere ab, im wirklich großen Stil wurden Versammlungen verboten. Wenn wir Mitte der 1990er Jahre auf eine legale Demo fahren wollten, wurden die Busse bei der Abfahrt plötzlich von Polizisten mit Maschinenpistolen umstellt. Es war eine Zeit, in der wir beim Schlafengehen ständig damit rechneten, am nächsten Morgen um fünf durch eine Hausdurchsuchung geweckt zu werden.

Wie war die Repression im Vergleich zu heute?

Heute erleben wir Festnahmen alle paar Monate, damals waren es mitunter mehrere Leute die Woche. Die Repression, die wir im Moment sehen, ist jedoch schärfer als alles, was wir bisher in Deutschland in diesem Jahrtausend hatten.

Dutzende Deutsche kämpften jüngst in Rojava gegen den IS. Inwiefern beteiligten sich in den 1990er Jahren Deutsche am bewaffneten Kampf der PKK?

Ich kenne einige, die sich dem bewaffneten Kampf angeschlossen hatten. Niemand ist damals jedoch primär in die Berge gegangen, um zu kämpfen. Man wollte lernen, wie man sich revolutionär organisiert, revolutionäre Politik betreibt. Auch die 1998 von türkischen Soldaten nach ihrer Gefangennahme ermordete Andrea Wolf hatte das immer wieder betont. Dieser Lernprozess war aber nur möglich in einem Umfeld, in dem man gleichzeitig auch die Waffe in die Hand nahm.

Ende der 1990er nahm die Solidarität mit der kurdischen Bewegung ab. Woran lag das?

Die beschriebene Repression war ein wesentlicher Punkt. Sie nahm aber auch aufgrund gegenseitiger Missverständnisse ab. Kurdische Organisationen hatten damals noch ein eher instrumentelles Verhältnis zu den deutschen Genossen. Diese wurden etwa vorgeschickt, um die Demo anzumelden oder in den Vereinsvorstand gewählt, damit er schwerer verboten werden kann. Einige Deutsche hatten wiederum die Illusion, dass die PKK ihnen in Deutschland die kommunistische Partei aufbaut. Sie verkannten dabei, dass es sich in erster Linie um eine nationale Befreiungsbewegung handelte, wenn auch von Seiten ihrer Führung ein sozialistisches Selbstverständnis bestand.

Welche Rolle spielten bei der Entfremdung umstrittene Maßnahmen der PKK wie die Liquidierung von vermeintlichen Verrätern oder Selbstverbrennungen?

Solche Gewalttaten gab es bis zur ersten Hälfte der 1990er Jahre, auch Geheimdienste waren darin verwickelt. Die PKK hatte dann auf einem Parteikongress scharf die Gewalt gegen abtrünnige Organisationsmitglieder zurückgewiesen. Der inhaltliche Grund für eine Entfremdung war eher, dass einigen Solidaritätsanhängern die PKK plötzlich als zu gemäßigt erschien. Abdullah Öcalan suchte 1998 nach einem Ausgleich mit der Türkei, nach seiner Verschleppung rief er zu einem Ende des Guerillakampfes auf. Viele deutsche Linke verstanden nicht, dass die Bewegung auch zu Kompromissen bereit sein muss.

2005 übernahm die PKK das von Öcalan entworfene Konzept des »Demokratischen Konföderalismus«. Statt einem Staat wird nun Selbstverwaltung angestrebt. Wie akzeptiert ist dieses Konzept?

Es musste sich erst durchsetzen. Ich habe selbst erlebt, wie das neue Paradigma zuerst in Zentren der Bewegung, den Guerilla-Camps in den Kandil-Bergen und im unter PKK-Kontrolle stehendem Flüchtlingslager Machmur in Nordirak, griff, bevor es sich verbreitete und auch in kurdischen Städten in der Türkei Volksräte gebildet wurden. Es mag uns komisch vorkommen, dass von oben ausgehend Basisdemokratie gelernt wird, aber die Praxis zeigt, dass es klappt.

Und erst mit dem Kampf um Kobane 2014 wurde dieses Modell der breiten deutschen Linken bekannt?

Bereits 2007 gab es in Berlin die erste Neugründung eines Kurdistan-Solidaritätskomitees seit den 1990er Jahren. Es gab zu jener Zeit Überfälle von türkischen Faschisten auf Kurden. Das hatten auch deutsche Antifaschisten bemerkt, die daraufhin in Kontakt mit der kurdischen Freiheitsbewegung traten. Mit dem Kampf um Kobane wurde die Bewegung jedoch allgemeiner anerkannt. Das neue Paradigma der Kurden, aber auch die Haltung von einer nun eher im Geiste der Sozialforen libertär geprägten deutschen Linken erleichterten ein Zusammenkommen.

Heute vereinen sich verschiedene linke Strömungen in der Rojava-Solidarität. Besteht die Gefahr einer Revolutionsromantik?

Die Gefahr ist definitiv da. Rojava ist nicht das kunterbunte sozialistische Musterland, dort werden unter größten Problemen für diese Region revolutionäre Errungenschaften geschaffen. Das beste Gegensteuern ist es, selbst nach Rojava zu reisen, um zu sehen, wie die Bewegung unter widrigen Umständen in einer feudal geprägten Umgebung revolutionäre Politik betreibt. Zudem kann man auch in Deutschland die linken kurdischen Vereine besuchen. Dort sitzen nicht nur Musterrevolutionäre, sondern normale Leute, die ihren Tee trinken.

Deutsche Linke sind von der Öcalan-Verehrung irritiert. Ist die kurdische Bewegung hier zu unkritisch?

Man muss die Rolle des PKK-Mitgründers vor den Realitäten des Mittleren Ostens erklären. Es ging darum, eine in Clans und verschiedene Länder gespaltene Gesellschaft zu einen. Öcalan wurde dafür zu einer Art Überchef aufgebaut. Durch die Inhaftierung kann er in der Praxis jedoch kein aktiver Parteiführer mehr sein. Er sagt frei heraus, dass die Bewegung selber denken muss und er nur Ideen geben kann.

Warum ist das Ende des PKK-Verbots für deutsche Linke wichtig?

Wenn »unser« Staat eine Befreiungsbewegung in den Untergrund treibt, ist es unsere Pflicht, uns zu solidarisieren. Dieses Verbot betrifft darüber hinaus aber auch nicht nur die PKK und ihre Unterstützer. Der staatliche Umgang mit der Partei wurde und wird immer wieder benutzt, um Grundrechte abzubauen.