nd-aktuell.de / 02.05.2018 / Politik / Seite 5

60 Jahre für Frieden und Verständigung

Aktion Sühnezeichen feiert Jubiläum

Ingrid Heinisch

Im Jahr 1958 war es vielen Deutschen gelungen, das Wissen um die Verbrechen, die ihr Volk im Zweiten Weltkrieg begangen hatte, weitgehend aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Die Nürnberger Prozesse lagen lange zurück, die Auschwitz-Prozesse noch in weiter Ferne. Da wirkte der Gründungsaufruf während der Synode der evangelischen Kirche in Berlin für Aktion Sühnezeichen wie ein Fanal. »Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet: Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht.« Das waren die Worte des ostdeutschen Theologen Lothar Kreyssig.

Die Reaktionen der deutschen Bevölkerung waren zum größten Teil hasserfüllt. Aber die Synode folgte Kreyssig. Seine Idee war, in den Ländern, gegen die Deutschland Krieg geführt hatte, praktische Wiederaufbauhilfe zu leisten. Ein Krankenhaus, eine Kirche oder ein Kindergarten sollten hier gebaut werden. Dies galt als ein Zeichen der Sühne. Deshalb wurde der Name Aktion Sühnezeichen gewählt. Anfangen wollte er mit den Ländern, die besonders unter deutschem Terror gelitten hatten: Israel, die Sowjetunion und Polen. Daraus wurde aber nichts. Zu groß waren dort die Ablehnung und das Misstrauen.

Aber nur ein Jahr später brach eine Gruppe junger Deutscher unter der Leitung von Pastor Hans Richard Nevermann nach Norwegen auf, um dort ein Kinderkrankenhaus zu bauen. »Das Misstrauen uns gegenüber war immens«, erinnerte er sich später. »Die Deutschen hatten das neutrale Norwegen besetzt und dort ungeheures Leid angerichtet.« Und doch gelang es. Die Einheimischen akzeptierten die jungen Deutschen schließlich.

Im gleichen Jahr fuhr eine Baugruppe nach Frankreich. Andere Länder folgten: Belgien, Großbritannien, die Niederlande, Israel und zuletzt Polen. Dort gelang Aktion Sühnezeichen, dessen Name 1968 um den Zusatz Friedensdienste (ASF) erweitert worden war, der wohl größte Erfolg: der Bau der internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim nahe der Gedenkstätte von Auschwitz 1986. Das war wohlgemerkt der Erfolg der westlichen ASF. Notgedrungen hatte sich die Organisation nach dem Mauerbau geteilt. Im Osten waren die Arbeitsverhältnisse schwierig. Doch es gelang trotz des Widerstandes der DDR-Behörden, Sommerlager bei ehemaligen KZs oder jüdischen Friedhöfen zu veranstalten.

Heute kümmert sich ASF mit seinen etwa 200 Freiwilligen im Jahr hauptsächlich um Friedensarbeit und um Projekte für behinderte und sozial benachteiligte Menschen. Hinzu kommen Projekte, in denen junge Menschen aus verschiedenen Ländern gemeinsam arbeiten. Außerdem entsendet ASF Freiwillige vor allem aus Osteuropa in verschiedene deutsche Gedenkstätten.

Ein bundesdeutscher Freiwilliger muss inzwischen seinen Dienst durch Sponsoren selbst finanzieren. Vorbei ist also die Zeit, als junge Arbeiter noch durch ASF ins Ausland gelangten. Kinder aus Hartz-IV-Familien dürften bei ASF heutzutage die Ausnahmen sein. Das hätte sowohl Hans Richard Nevermann als auch Lothar Kreyssig, so stolz sie auf die Erfolge von ASF bis zu ihrem Tod waren, nicht gefallen.