nd-aktuell.de / 03.05.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 14

Wenn sich nichts mehr dreht

387 Windkraftanlagen wurden 2017 für abrissreif erklärt, der Rückbau ist nicht einfach. Ein Bericht aus Bremen

Anna Ringle, Bremen

Ausgediente und ausrangierte Windkraftanlagen geraten in Deutschland zunehmend ins Blickfeld. In den nächsten Jahren wird ihre Zahl wohl stark steigen. Nur ein Teil davon kann in andere Länder weiterverkauft werden. Inzwischen gibt es jedoch Recycling-Ideen. Der entsprechende Markt ist bislang überschaubar - noch. Die Bremer Firma Neocomp zum Beispiel schreddert ausrangierte Rotorblätter in einer Anlage und vermischt sie danach mit Reststoffen aus der Papierherstellung, wie Geschäftsführer Hans-Dieter Wilcken erläutert. Das Ganze werde an Zementwerke verkauft, die das Gemisch nutzen - Glasanteile der geschredderten Rotorblätter seien im Zement enthalten.

»Die Nachfrage ist so hoch, dass wir mehr produzieren könnten«, sagt Wilcken über die Marktlage für das seit 2015 bestehende Unternehmen. Zur Zeit werde hauptsächlich mit einem Zementwerk aus Schleswig-Holstein zusammengearbeitet. Die ausrangierten Rotorblätter bezieht die Firma über Ausschreibungen von Windkraftanlagenbetreibern aus ganz Deutschland, aber auch aus dem Ausland wie Dänemark. Zudem nutzt Neocomp Produktionsreste, die bei der Herstellung und Verarbeitung von glasfaserverstärkten Kunststoffen und damit auch bei der Herstellung von Rotorblättern anfallen.

Diese Produktionsreste machen den überwiegenden Anteil des Materials aus, weil es bislang noch nicht genügend Rückläufer von Rotorblättern gebe. Das Bremer Unternehmen spricht selbst noch von einem Nischendasein auf dem deutschen Markt, aber die Konkurrenz wird in den nächsten Jahren wachsen, wie Wilcken einschätzt. Der Bundesverband Windenergie rechnet damit, dass der Abbau von Windkraftanlagen ab 2021 deutlich zunehmen wird. Denn viele Anlagen fallen ab diesem Zeitpunkt nach und nach aus der staatlich garantierten Einspeise-Grundvergütung, die eine Laufzeit von 20 Jahren hat. Und zahlreiche der Altanlagen könnten dann von moderneren ersetzt werden, weil diese ökonomischer sind.

Ein Weiterbetrieb älterer Anlagen wäre nach Angaben des Verbandes in den meisten Fällen technisch zwar möglich. Ob sich das dann aber ohne Förderung für Betreiber rechnet, ist noch nicht vorhersehbar. Denn den Strompreis 2021 kennt heute noch niemand. In Deutschland gab es im vergangenen Jahr laut Windenergieverband mehr als 28 000 Windkraftanlagen an Land. 2017 sei das bislang zubaustärkste Jahr gewesen mit fast 1800 neuen Windenergieanlagen an Land. 387 Anlagen seien zugleich für den Abbau registriert worden. Was passiert damit? Dem Verband zufolge gibt es Abnehmer in anderen Ländern, zum Beispiel Südosteuropa. Zugleich wird betont, dass angesichts des steigenden Rückbaus die Branche intensiv an Recyclingkonzepten arbeite. Auch in der Wissenschaft ist das Thema Wiederverwertung von Windkraftanlagen längst präsent. In einem Labor der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg wollen Forscher geschredderte Rotorblätter von ausrangierten Windkraftanlagen und Flugasche, die bei der Stromerzeugung in Braunkohle-Kraftwerken entsteht, zu einem Flugasche-Betonwerkstoff kombinieren.

Die recycelten Rotorblatt-Anteile sollen bewirken, dass der Beton im Fall von Rissen stabilisiert wird, wie Professor Holger Seidlitz vom Fachgebiet Leichtbau mit strukturierten Werkstoffen erläutert. Im vergangenen Jahr habe es erste Versuche gegeben, die Erfolg versprechend gewesen seien.

Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung bemerkt seit Jahren, dass Firmen den Geschäftsbereich Abbau und Recycling von Windkraftanlagen für sich entdecken und nach innovativen Ansätzen suchen. Es handele sich aber noch um einen Nischenbereich, sagt auch Verbandsreferent Thomas Probst. Vor allem die sperrigen Rotorblätter seien auch nach deren Zerkleinerung für die Verwertung in Müllverbrennungsanlagen problematisch. Carbonfaserverstärkte Kunststoffe, die mit Harzen vermengt sind, seien für die Mitverbrennung ungeeignet.

Als ein Problem nennt Probst, dass Anlagenfilter durch das Gemisch beschädigt werden könnten. Das sehen wiederum andere Firmen als Chance für einen weiteren Recyclingmarkt, so Probst. Ideen reichten von der stofflichen Verwertung der geschredderten Windkraftflügel in der Zementindustrie bis zum Zusatzstoff im Putz. dpa/nd