nd-aktuell.de / 05.05.2018 / Politik / Seite 2

Bekennender Kemalist

Personalie

Nelli Tügel

Nach tagelangen Gerüchten hat nun auch die größte Oppositionspartei der Türkei, die kemalistische, von Staatsgründer Atatürk einst aufgebaute Republikanische Volkspartei (CHP), ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben: Muharrem İnce, früherer Fraktionsvize der Partei, galt stets als Dauerrivale des recht populären Partei- und Fraktionsvorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu, gegen den er sich zweimal im Kampf um den Parteivorsitz geschlagen geben musste. Die Entscheidung, İnce zu nominieren, ist daher durchaus bemerkenswert.

Geboren wurde İnce 1964 in der Nähe von Yalova im Nordwesten des Landes, am Tag der Kandidatenkür feierte er seinen 54. Geburtstag. Für Yalova zog der verheiratete Vater eines Kindes 2002 ins türkische Parlament ein. Damit ist er ebenso lang Abgeordneter wie die AKP das Land regiert. In der Nationalversammlung hat er als angriffslustiger Redner und scharfer Erdoğan-Kritiker auf sich aufmerksam gemacht. Seine Zeit als Parlamentarier ist nun allerdings vorbei, denn als Präsidentschaftsbewerber kann İnce nicht bei der zeitgleich stattfindenden Parlamentswahl kandidieren.

In der Rede vor Anhängern nach seiner Nominierung sagte der ehemalige Physiklehrer, er wolle kein Präsident der CHP, sondern aller Menschen in der Türkei sein - »von Rechten und Linken, Kurden und Türken, Alewiten und Sunniten«. Ob man diesem Versprechen İnces, der sich als Traditionskemalisten bezeichnet und seit Ende der 1970er seiner Partei angehört, Glauben schenken darf, ist allerdings fraglich. Türkischer Nationalismus ist der Markenkern der CHP. Als Präsident des Atatürkçü Düşünce Derneği - ADD (Verein zur Förderung der Ideen Atatürks) stand İnce in der Vergangenheit zudem einem Verein vor, der - auch in Deutschland - antiarmenische und antikurdische Ressentiments verbreitet. Dennoch stimmte İnce im Mai 2016 - im Gegensatz zu anderen CHP-Abgeordneten - im Parlament gegen die Aufhebung der Immunität von Politikern der Linkspartei HDP.