nd-aktuell.de / 17.05.2018 / Kultur / Seite 17

Meister der 100 Gitarren

Glenn Branca verstorben

Samuela Nickel

Wie viel Geräusch kann aus einer Gitarre herausgeholt werden? Sehr viel, wie Glenn Branca bewies. Er brachte seine Instrumente dazu, den Lärm freizulassen. Seine Kompositionen sind wie Ebbe und Flut aus Klang und Krach. Mit ihnen inspirierte er Generationen von Musikern. Am Sonntag ist der Avantgarde-Gitarrist und Komponist im Alter von 69 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben.

Der US-Amerikaner zog in den 70ern nach New York, um Teil des dortigen Punk- und No-Wave-Universums zu werden. Aufgewachsen war Glenn Branca in der kargen, postindustriellen Landschaft von Harrisburg in Pennsylvania. In New York City gründete er die Band Theoretical Girls und startete sein Musiklabel Neutral Records, auf dem er unter anderem auch die ersten zwei Alben von Sonic Youth veröffentlichte. Nicht nur mit Thurston Moore und Lee Ranaldo von Sonic Youth spielte Branca selbst - auch mit Page Hamilton (Helmet) und Michael Gira von den Swans bearbeitete er die Gitarren. Die Swans standen anfangs auch bei ihm und seinem Label unter Vertrag.

Sein erstes eigenes Stück, »Lesson No. 1«, veröffentlichte er 1980. Damals begann er auch, Stücke für größere E-Gitarren-Ensembles zu schreiben. Später komponierte er ganze Symphonien für Orchester, die nur aus Gitarristinnen und Gitarristen bestanden.

Hauptsache verstärkt: Die Lautstärke nutzte Glenn Branca als zusätzliches Instrument. Auf seinem ersten Album, »The Ascension« (1981), stimmte er die vier E-Gitarren auf ein und denselben Ton, um aus den fast schon als Choral gespielten 24 Saiten die größtmögliche Resonanz herauszuholen. Heraus kam: Lärm. Hypnotisch dröhnende Geräuschwände - nur scheinbar disharmonisch, doch immer strikt durchkomponiert.

Viele seiner Instrumente baute der Gitarrist selbst und experimentierte mit ihnen, um aus Krach und Geräuschen Musik zu machen. Seine Stücke wurden auch von Kammermusikensembles in New York und London aufgeführt. Für eine seiner letzten Kompositionen aus dem Jahr 2015, die »Symphony No. 16 (Orgasm)«, dirigierte er 100 Gitarren in der Philharmonie in Paris.

Glenn Brancas Musik lärmt und zwingt sich den Zuhörenden auf, bis ihnen die Knochen und Zähne vibrieren. Mit seinem Ideenreichtum war er Vorreiter und Inspiration für maßgebliche Bands des Noise- und Drone-Genres.

In einem Interview mit dem Musikmagazin »Pitchfork« sagte er 2016, generell gehe es bei Musik darum, etwas aus dem Nichts zu erschaffen. Brancas Gitarrenorgasmen hört man das unendliche donnernde Nichts, aus dem er sie holte, noch immer an.