nd-aktuell.de / 18.05.2018 / Kultur / Seite 16

Im konventionellen Sinne keineswegs fiktiv

Achim Szepanski reflektiert Kapital und Macht im 21. Jahrhundert

Paul Weiler

Das Buch - als Einführung in die hier finanzielles Kapital genannte Thematik konzipiert - ist fast etwas zu ausführlich geraten, eignet sich aber dennoch sowohl als Einleitung als auch als Überblick. Die Herangehensweise fußt methodisch auf den Kategorien der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie. Achim Szepanski hat zudem eine Fülle von Material anderer Provenienz herangezogen und auch Literatur aus dem angloamerikanischen Raum ausgewertet, die teilweise noch ihrer Übersetzung ins Deutsche harrt.

Der Autor beginnt mit der Darstellung des Kapitals im Zusammenhang mit Geld und Ware, dessen finanzielle Seite er in drei Formen unterteilt: zinstragendes, spekulatives, und fiktives Kapital. Dabei geht er von der Annahme aus, dass das finanzielle Kapital historisch die kapitalistische Produktionsweise von Anfang an begleitet habe, da die Produktion von Unternehmen prinzipiell vorfinanziert werden müsse. Damit sei diese schon schuldenbasiert, wobei die Schulden mit den zukünftig zu produzierenden Waren versichert und mit deren Realisierung abgeglichen werden würden. Diesen Vorgriff auf zukünftig zu erarbeitenden Reichtum nennt Szepanski finanzialisierte Kapitalproduktion. Damit widerspricht er dezidiert Annahmen, das finanzielle Kapital sei ein neuartiges Phänomen und dem eigentlichen Kapitalkreislauf äußerlich, ihn störend oder dysfunktional. Im Gegenteil sei der Kapitalismus als System von der Bereitstellung der Liquidität durch das Finanzsystem abhängig.

Nachdem Kredit und Zins behandelt werden, erläutert er die beiden anderen Kapitalformen. Darin ist vor allem die Funktionsweise von Anlagen, Aktien und Derivaten interessant. Letztere begreift der Autor einerseits als Machttechnologien, andererseits als spekulative Kapitalformen, mit denen monetäre Gewinne gemacht werden. Nebenbei erfährt der Leser Interessantes über High-Frequency-Trading. Anschließend kommen die Institutionen an die Reihe, die den Kapitalkreislauf regulieren: Banken, Ratingagenturen und Investmentfonds. Danach geht der Autor auf die Zentralbanken ein und stellt den Staat als wirtschaftlichen Akteur dar. Zuletzt behandelt er den internationalen Rahmen und den Weltmarkt. Das »Risikosubjekt« Mensch bildet den Abschluss des Buchs, wobei vor allem moderne Mechanismen der Quantifizierung zu nennen sind, die auf Datenextraktion beruhen und tief in unseren Alltag eingreifen.

Szepanski nimmt für die Finanzmärkte eine »produktive« Funktion an, da sie einerseits die Akteure (Unternehmen, Staaten und Haushalte) mittels statistischer Technologien bewerten, anderseits als eine funktionale Instanz der Kapitalisierung von zukünftigen Zahlungsversprechen fungieren. Während die Bilanzierung lange Zeit vergangenheitsorientiert vonstattenging, sei ab den 1970er Jahren die an der Zukunft ausgerichtete Kapitalisierung, das heißt die Kalkulation zukünftig erwarteter Zahlungsversprechen, zur wichtigsten Methode des kapitalistischen Finanzsystems geworden.

Folgt man Szepanski, ist das finanzielle System kein verselbstständigter Sektor, sondern eine Konstante im unternehmerischen Handeln. Die Integration des finanziellen Kapitals in die allgemeine Ökonomie werde auch dadurch deutlich, dass heute alle großen kapitalistischen Unternehmen wichtige Finanzoperationen durchführen, die auch einen immer höheren Anteil ihres Gesamtprofits ausmachen. Dabei seien aus Derivaten resultierende Gewinne nicht in einem konventionellen Sinn fiktiv, weil diese, in Geld realisiert, alle Merkmale der Kapitalmacht besitzen und damit dem Zugriff auf gesellschaftlichen Reichtum dienen. Was die Auswirkungen angeht, verschärft das finanzielle Kapital auch die Konkurrenz zwischen den Unternehmen, deren Kennzahlen es als Investmentoption misst, vergleicht und bewertet, die ihrerseits stärkeren Druck auf die Beschäftigungsverhältnisse ausüben. Im internationalen Rahmen besitze das Finanzsystem die Funktion, die Dominanz der großen Unternehmen und imperialistischen Staaten weltweit zu stärken.

Szepanski hat eine verdienstvolle Arbeit vorgelegt. Was die Entstehung und den Verlauf ökonomischer Krisen angeht, hätte man sich etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht. Noch ein kleiner Kritikpunkt an einem Werk, dem eine breite Rezeption und Diskussion zu wünschen ist: Manche Argumentationslinien könnten deutlicher strukturiert werden. Ein Sach- und Namensregister wäre für eine Neuauflage hilfreich.

Achim Szepanski: Kapital und Macht im 21. Jahrhundert, Laika-Verlag, 354 S., br., 20 €.