nd-aktuell.de / 25.05.2018 / Politik / Seite 6

Grüne streiten über Hausbesetzungen

Jugendorganisation unterstützt Aktivisten im Kampf für ausreichend bezahlbaren Wohnraum

Sebastian Bähr

Es gab eine Zeit, in der die Grünen als Hausbesetzerpartei galten. Nicht wenige Wortführer der Gründergeneration hatten in den 1970er Jahren selbst Erfahrungen mit der illegalen Aneignung von Wohnraum gesammelt. Daniel-Cohn Bendit forderte bei einem öffentlichen »Tribunal gegen Spekulanten und Profitgeier« in Frankfurt am Main eine Ausweitung von Hausbesetzungen, Jürgen Trittin besetzte Häuser in Göttingen, Joschka Fischer verteidigte in Frankfurt die besetzten Häuser mit Knüppel und Helm gegen Polizisten. Seitdem ist viel passiert. Wohnraum wird zwar wieder in vielen deutschen Städten knapper, die Mieten teurer. Einige würden die Grünen heute jedoch eher eine Hausbesitzerpartei nennen.

Das Thema blieb im größeren Rahmen länger unberührt. Hausbesetzungen in Berlin an Pfingsten haben nun innerhalb der Grünen eine Debatte ausgelöst. Landespolitiker hatten die Aktionen trotz Räumung unter der rot-rot-grünen Regierung als »legitim« bezeichnet.

Das gefiel nicht allen. Grünen-Chef Robert Habeck distanzierte sich in der »Welt« von den Aktivisten. »Wer als Hausbesetzer in Häuser eindringt, weiß, dass das Unrecht ist und entsprechende Konsequenzen hat«, sagte der Politiker. »Dass das Rechtsbruch ist, ist klar.«

Im »Spiegel« kritisierte der ehemalige Abgeordnete Hans-Christian Ströbele diese Sichtweise. »Die Leute am Wochenende haben die Häuser aus Demonstrationszwecken besetzt, das ist dann auch legitim«, so der Rechtsanwalt. Ströbele, der früher selbst Hausbesetzer vor Gericht verteidigt hatte, sprach Habeck ab, eine kompetente Position zu vertreten. »Er ist ja ein Schriftsteller und kein Jurist. Vielleicht kann er das aus Schleswig-Holstein auch nicht so beurteilen, da ist die Situation des Wohnungsmarktes ja eine andere.«

Kritik an der Parteispitze kommt auch von der Grünen Jugend. »Der politische Skandal sind nicht die Besetzungen von leer stehenden Häusern, sondern die explodierenden Mieten in den Großstädten«, erklärte der Bundessprecher Max Lucks gegenüber »nd«. Der Staat habe für den Politiker versagt, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen und erlaubt, dass Wohnen zum Luxusgut werden. Diesen Missstand aufzuzeigen, sei zulässig. »Die Besetzungen sind für mich ein legitimes Mittel des politischen Protests.« Die Hausbesetzer hätten auf ein wichtiges Thema aufmerksam gemacht, so Lucks. »Dabei haben sie unsere Unterstützung.« Für die Grüne Jugend sei Wohnen »ein Recht und keine Ware«.

Lucks erklärte weiter, dass »Sonntagsreden und eine Pseudo-Mietpreisbremse« nicht reichen werden, um die Wohnungsnot in den Großstädten in den Griff zu bekommen. »Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau, eine echte Mietpreisbremse und im Notfall auch Enteignungen von dauerhaft leerstehendem Wohnraum.«

Der Abgeordnete Trittin wies gegenüber »Deutschlandfunk Kultur« auch auf die konstruktive Rolle von Besetzungen für die Stadtentwicklung hin. »Wir haben damals in Göttingen viel zum Erhalt der alten Bausubstanz gemacht und gleichzeitig dringend benötigten Wohnraum geschaffen.« Der Staat könne »flexible Antworten« auf Besetzungen finden - beispielsweise ihre nachträgliche Legalisierung.