nd-aktuell.de / 26.05.2018 / Wissen / Seite 24

Gelehrtenstreit

Bildungsrauschen

2015 reformulierte die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre in 2004 beschlossenen Bildungsstandards. Demnach sollen Kinder am Ende der vierten Klasse über eine lesbare und flüssige Handschrift verfügen, die sie vom lautorientierten hin zum normgerechten Schreiben als Druck- und verbundene Schrift erwerben (kmk.de). Dieser Allgemeinplatz birgt reichlich Konfliktstoff. Der Grundschulverband reagierte und stellte 2005 eine Projektgruppe aus Wissenschaft und Praxis zusammen, die eine den aktuellen Anforderungen allgemeine Schriftdidaktik konzipierte. Die Wissenschaftler plädierten für die Grundschrift, eine handgeschriebene Druckschrift, und begründeten dies damit, dass Kindern diese Schrift heute »nichts Fremdes« mehr sei, wachsen sie doch mit Tastaturen, Plakaten, dem Netz und dem Einkaufszettel auf. Dabei seien sie in der Regel mit Buchstaben in lateinischer Druckschrift konfrontiert. Bereits mit der ersten Klasse schrieben sie in Druckbuchstaben und erarbeiteten sich so von Beginn an eine individuelle Handschrift, die dann »zugunsten der Übernahme einer für die Kinder neuen normierten Schrift« unterbrochen werde. Die Grundschrift vereinfache den Lernprozess, resümierten die Forscher (grundschulverband.de).

In der Folgezeit startete die Grundschrift als Modellversuch, der sich jedoch schwierig gestaltet. Zu stark sind die Vorbehalte. 2011 mahnte faz.net, dass schon in den 1970er Jahren die Einführung der vereinfachten Ausgangsschrift Firmen auf den Plan gerufen habe. Profitiert hätten von der Reform damals die Hersteller von Füllern, von der Einführung der Grundschrift würden sich heute Lernmittelhersteller »ökonomische Vorteile« versprechen.

2014 hielt welt.de den Ansatz »für reinen Idealismus«, sehe doch die Wirklichkeit anders aus. Wenn noch immer um die 20 Prozent der 15-Jährigen nicht richtig lesen und schreiben können, sei dies darauf zurückzuführen, dass mit den Kindern zu wenig geredet und gelesen werde. Bildungserfolg hänge eben nicht so sehr vom »fortschrittlichsten Unterrichtskonzept« ab.

Noch 2017 verweist zeit.de auf US-amerikanische und kanadische Studien, nach denen das häufige flüssige Schreiben zur »versierten Feinmotorik« und zu Kompetenz beim Textaufbau führe. Anders als diejenigen, die nur tippen, verfügten die »Flüssigschreiber« auch über ein größeres Gedächtnis. Unter dem Motto »Rettet die Schreibschrift« überreichten Organisationen daraufhin über 17 000 Unterschriften gegen die Grundschrift bei der KMK ein.

Die Diskussion hat ihr Ende noch nicht erreicht. Eine Übersicht der Argumente bietet goethe.de. Der Blick über den Tellerrand verrät, dass die Kinder in Spanien eine »Art Druckschrift« und in Neuseeland vollständig die Druckschrift lernen. In Großbritannien und Schweden wird den Schulen die Wahlfreiheit gelassen (tecteam.de). Lena Tietgen