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Besser siegen als aufgeben

16 000 Läuferinnen und Läufer starten beim 46. GutsMuths Rennsteiglauf

  • Michael Müller, Schmiedefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

Beim Rennsteiglauf aufzugeben, ist eigentlich keine Schande. Das Geläuf entlang des Kammweges des Thüringer Waldes ist mal knochenhart, mal schmierig, eben echt waldwegig. In den 73,9 Kilometern des Supermarathons stecken dazu rund 3300 Höhenmeter und über 1600 sogar noch in den 21,2 Kilometern des Halbmarathons. Nicht umsonst wird dieses Sportereignis in der europäischen Szene geradezu mythisch verklärt. Es geht um glorreich erkämpfte Siege über sich selbst, aber auch um Niederlagen.

Die Realität scheint nicht ganz so tragisch, sondern eher romantisch zu sein. Denn beispielsweise ist die Ausstiegsquote für einen solchen Massencross erstaunlich gering. Sogar an diesem Sonnabend waren es nur etwas über zwei Prozent - und das bei für Maitage auf dem Rennsteig seltenen Temperaturen bis zu 28 Grad.

Wie meist im Leben und beim Sport dürfte die Wahrheit auch für den Rennsteiglauf irgendwo in der Mitte liegen. Egal ob es um die Spitzenleute des Langstreckenmetiers geht oder um stinknormale Straßen-, Wald- und Wiesenjogger - dabei die Nordic-Walking-Akteure und Wanderer gleich noch mit eingeschlossen, die ja am Sonnabend auch auf vier Routen unterwegs waren.

Von Aufgabegefühlen und -absichten auf höchstem Niveau war beispielsweise von Siegerinnen und Siegern zu hören. Bei Kilometer 30 habe sie sich nicht mehr richtig frisch gefühlt, erinnerte sich Supermarathon-Siegerin Daniela Oemus. Und weiter: »Ich wurde langsamer und dachte mehrfach ans Aufhören. Doch mein Freund und der Gedanke daran, dass meine Mutter und die Oma im Ziel auf mich warten, trieben mich weiter«. Und das dann gleich so weit, dass sie im Ziel 32 Minuten vor der Zweiten ankam.

Florian Neuschwander, ihr Männersiegerkollege auf der langen Distanz, wusste es ähnlich zu berichten. Erst sei er mit den drei Mitfavoriten ganz vorn locker und plaudernd 15 Kilometer vor dem Feld hergelaufen. »Dann wurden mir die Jungs zu schnell, das war heute nicht so mein Ding. Auszusteigen war aber auch nicht so die Option, denn dann wäre ja die ganze Anreise sinnlos gewesen.« Schließlich hat er sie noch alle erst ein- und dann überholt. Ende Januar startet er übrigens in Kalifornien beim Western States Endurance Run über 100 Meilen, also mehr als doppelt so lang wie der Rennsteig-Ultra und noch mit fünf Mal mehr Höhenmetern. Da kann er noch etwas länger grübeln, ob er aufgibt oder ob er doch lieber gleich gewinnt.

Ja, so schön kann Selbstüberwindung auf hohem Niveau sein. Beim gemeineren Fußvolk kommt die meist wesentlich unspektakulärer daher. Nehmen wir nur einige Beispiele aus unserer nd-Mannschaft: Über den neuen 40-Teilnahmen-Teamkönig schreibt Heidi Diehl bereits in dem nebenstehenden Beitrag. Dieser Reiner Lösch macht kein Hehl daraus, dass er »früher nur mit Laufschuhen und ohne Nordic Walking Stöcke schon bessere Stunden auf dem Rennsteig erlebt« habe. Doch es läuft eben nicht mehr wie einst im Mai, aber er würde keinen Gedanken ans Aufgeben verschwenden. Aus ähnlichem Holz ist ein anderer nd-Team-Senior geschnitzt. Ludwig Amarell kam mit 2:21:55 h auf Platz 3 in der AK 80 beim Halbmarathon. »Vielleicht auch mal aufgeben? Wovon redest Du da eigentlich?«, lautete seine Reaktion zum Thema.

Soviel zur Illustration des Stimmungsbildes der allgemeinen »Rennsteiglaufbasis«. Wobei es da durchaus noch besondere Steigerungsnuancen gibt. So kam nd-Teamläufer Heinz-Peter Schwertges nach 8:47:22 Super-Marathonstunden ins Zielfestgelände von Schmiedefeld. Dort deckte er sich am nd-Stand gleich ordentlich mit der Soli-Olivenseife aus der selbstverwalteten griechischen Kooperative VIO.ME ein. »Die hab ich jetzt dringend nötig«, sagt er. Und wie sich herausstellte, nicht nur wegen des »langen Kanten«. Heinz-Peter hatte 48 Stunden zuvor bereits in Waghäusel (Baden-Württemberg) bei »Frieden geht!« teilgenommen, dem derzeitigen deutschen Staffellauf gegen Rüstung und für Frieden, der am 29. Mai nach Berlin kommt (nd, 18.5., Seite 18): »Gerade in diesem Kampf gilt ganz besonders, nicht aufzugeben«. Auch Hans-Helmut Aue aus dem nd-Team hat nicht etwa vergnatzt daran gedacht aufzugeben, weil wir ihn in unserer am Freitag veröffentlichten Starterliste vergessen hatten. Nein, er lief seine Strecke und kommt auch am Wochenende aus Göttingen zu ndLive nach Berlin.

Der Autor dieser Zeilen gesteht übrigens, dass er wie bei all seinen vorangegangenen Rennsteigläufen wieder mal ganz kurz ans Aufgeben gedacht hat. Diesmal, als ihn zum wiederholten Mal ein scharfes Steinsplitterchen im Schuh quälte. Umgestimmt hat ihn allerdings nicht die Rennsteiglaufweisheit »Qual vergeht, Ruhm bleibt«. Die einfache Lösung hieß stoppen, Schuh und Strumpf ausschütteln und weiter. Zu gewinnen war ohnehin nicht mehr als ein solider Platz im letzten Halbmarathonfünftel.

Letztendlich waren also alle schier restlos glücklich im gemeinsamen Ziel von Schmiedefeld. Bis vielleicht auf ein paar Ausnahmen, die es immer gibt. Und bis eben auf die, die sich erst angemeldet hatten und dann einen Supertag haben sausen lassen. Rennsteiglaufpräsident Jürgen Lange zeigte sich auch ganz begeistert: »Ich habe mir gerade das Geschehen auch mal von oben anschauen können, also runter auf den bunten und von Tausenden belebten Sportplatz geschaut - einfach Klasse, super! Danke an alle Helfer, Partner und Sponsoren und an alle Teilnehmer!«

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