nd-aktuell.de / 31.05.2018 / Politik / Seite 2

»Wir stellen die Eigentumsfrage«

Katja Kipping und Bernd Riexinger verweisen auf eine Trendwende in ihrer Partei und erkennen keinen Machtkampf in der LINKEN, sondern Kontroversen in der Sache

Uwe Kalbe
LINKE-Vorsitzende im Interview: »Wir stellen die Eigentumsfrage«

Sechs Jahre sind Sie an der Spitze der LINKEN und damit die dienstältesten Vorsitzenden nach Angela Merkel. Ein zweifelhafter Ansporn für eine weitere Amtszeit, oder?

Katja Kipping: Unsere Bilanz kann sich sehen lassen, im Unterschied zu der von Angela Merkel. Die LINKE wächst, wird jünger, wir sind kampagnenfähiger aufgestellt, haben eine Imageverschiebung hinbekommen. Wer heute jung ist und die Welt verändern will, sieht in der LINKEN seine erste Adresse.

Also kein Grund zur Bescheidenheit: Sie kandidieren auf dem bevorstehenden Parteitag in Leipzig erneut als Vorsitzende.

Bernd Riexinger: Wir haben unsere Kandidatur erklärt. Wir sehen die Entwicklung der Partei positiv. Das ist im Übrigen auch das Verdienst unserer vielen aktiven Mitglieder. In vielen Großstädten sind wir inzwischen stärker als die Grünen. Was wir genauso verdient haben wie die Grünen.

Und die problematische Mitgliederentwicklung im Osten zählt nicht?

Kipping: Dass man auch in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks Wahlen von links gewinnen kann, haben unter anderem René Wilke in Frankfurt/Oder und Katja Wolf in Eisenach bewiesen. Ziel muss es sein, sie zur entscheidenden Kraft links der CDU zu machen. Und natürlich gilt es immer wieder deutlich zu machen, wir sind die Stimme des Ostens.

Wer jung ist und die Welt verändern will, gehört in die LINKE, sagen Sie. Damit sprechen Sie die Milieudebatte in Ihrer Partei an. Vernachlässigen Sie die Arbeiter und Arbeitslosen?

Riexinger: Nein, im Gegenteil. Eine linke Partei muss immer die Erwerbslosen und die am meisten Ausgegrenzten vertreten, sonst ist sie keine linke Partei. Trotzdem ist es gut, dass wir neue Milieus erschlossen haben. Das hat auch nichts mit Arbeiter oder Nichtarbeiter zu tun. So kommen auch verstärkt Menschen aus sozialen Berufen zu uns. Sie sehen zunehmend in der LINKEN eine politische Vertretung ihrer Interessen. Die sie nicht nur wählen können, sondern wo sie auch mitmachen können.

Kipping: Jahrelang haben mir erfahrene Genossen an der Parteibasis ihre Sorge geschildert: Was machen wir nur, wenn unsere Partei immer kleiner wird? Dass die Partei jetzt wächst und viele Jüngere kommen, begrüßen doch gerade die lebenserfahrenen sehr. Und dass wer jung ist, gleich immer auch ein Hipster sein soll, das ist doch absurd.

Sicher, es gibt auch junge Arbeiter. Kommen die denn auch?

Kipping: Ja klar. Ich stehe regelmäßig frühmorgens vor dem Jobcenter, um Kaffee auszuschenken. Gerade erst war ich da wieder in Dresden, um mit Leuten das Gespräch zu suchen, die unter Hartz IV leiden. Dabei oder wenn ich mit dem Roten Wohnzimmer in den Stadtteilen unterwegs bin, unterstützen mich auch viele Neumitglieder. Aus den Gesprächen mit ihnen habe ich erfahren: Für die gibt es keine Aufspaltung zwischen weltoffen hier und sozial engagiert auf der anderen Seite. Für die gehört das mit wunderbarer Selbstverständlichkeit zusammen. Das ist eher eine Feuilleton-Debatte.

Und eine Führungsdebatte. Oder ist der Konflikt zwischen Partei- und Fraktionsführung erfunden?

Riexinger: Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt und kämpfe seit fünfzig Jahren für die Rechte der Vielen, die unter Lohndumping, Sozialabbau und Privatisierung leiden. Eine linke Haltung hat doch nicht nur mit dem Berufsstand zu tun. In der Gesundheitsbranche arbeiten sechs Millionen Beschäftigte. Ein moderner Industriebetrieb hat nur 30 Prozent direkt in der Produktion, die müssen wir natürlich erreichen. 70 Prozent aber arbeiten in der Entwicklung, in der IT, im Vertrieb und anderen Bereichen. Und die kommen gerade zu uns.

Der Vorwurf in Teilen der Partei lautet: Die Abgehängten und Ausgegrenzten laufen den Rechten hinterher, weil sie die LINKE nicht mehr als ihre authentische Interessenvertretung erkennen.

Riexinger: Wir wollen die Menschen dazu bringen, ihre Stimme gemeinsam mit uns zu erheben. Das erfordert mehr, als nur Protest zu bündeln. Wenn Erwerbslose eine rechte Partei wählen, die objektiv das Gegenteil macht, als ihre Interessen zu vertreten, dann finden wir uns nicht damit ab. Finanzielle Nöte sorgen für Dauerstress. Viele Menschen haben einfach die Nase voll und erwarten nichts mehr von der Politik. Wir gehen in die Wohnviertel und sprechen mit den Leuten. Wir müssen, das verstehen wir unter verbindender Klassenpolitik, die Interessen beider Gruppen zusammenführen.

Der Leitantrag zum bevorstehenden Parteitag verspricht: »Wir kämpfen nicht nur um ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei für Alle«. Sollen jetzt alle Bäcker werden?

Riexinger: Das ist natürlich eine Metapher.

Wofür?

Riexinger: Dafür, dass die LINKE einerseits für jede kleine Verbesserung kämpft – für bessere Bildung, für bessere Erziehung, für gute Arbeitsbedingungen – dass sie aber gleichzeitig ein transformatorisches Element hat. Die kapitalistischen Verhältnisse verhindern, dass es gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle gibt. Wir suchen Ansatzpunkte, wie wir weiterkommen in Richtung demokratischer Sozialismus.

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Wo geht die LINKE über die bestehenden Verhältnisse hinaus?

Riexinger: Dort, wo wir die Eigentumsfrage stellen, zum Beispiel beim Wohnen. Chaosbanken wie die Deutsche Bank gehören zerschlagen und in öffentliche Hand überführt. Bei der Profitmache mit pflegebedürftigen Menschen sehen wir eine Gewinnbegrenzung als Mittel, den Ausverkauf öffentlicher Pflegeeinrichtungen an renditehungrige Investoren zu stoppen.

Kipping: Die Stärke unserer Partei als demokratisch-sozialistische Partei liegt ja nicht darin, dass wir die schrillsten Parolen haben. Sondern darin, dass wir einen vernunftsbasierten Erklärungsansatz haben, wo die Wurzeln all der Krisen liegen. Daran sei nicht nur im Jahr des 200. Geburtstages von Karl Marx erinnert. Dass wir mit dem demokratischen Sozialismus eine grundlegende Alternative haben.

Ziemlich ambitioniert für eine Zehn-Prozent-Partei. Ist eine Sammlungsbewegung, wie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine sie verfolgen, nicht der naheliegende Zugang, dem Ziel näherzukommen?

Riexinger: Ab wieviel Prozent sollte eine Partei denn Gesellschaftsentwürfe entwickeln? Ab 20, 25 Prozent? Ich will diese Gesellschaft gemeinsam in Bündnissen verändern – dabei setze ich auf die Partei DIE LINKE, deren Mitglied und Vorsitzender ich bin. Ich denke, das ist ein ganz vernünftiger Weg. Gesellschaftliche Veränderung beginnt immer mit konkreten Schritten. Wichtig ist, dass die Richtung stimmt.

Kipping: Wie groß die Sammlungsbewegung wird und wie sozialistisch sie ausgerichtet ist, das ist ja noch offen. Ich sehe unsere Aufgabe darin, unsere Partei wirkungsmächtiger zu machen. Inhaltlich waren wir schon immer die treibende Kraft. In Berlin führt die LINKE gerade die Umfragen an. Das zeigt, wir könnten auch zahlenmäßig die entscheidende Kraft links der CDU werden.

Wenn jetzt Namen wie Rudolf Dreßler bekannt werden, macht das nicht Lust, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten?

Riexinger: Zusammenarbeiten ist das Stichwort. Als LINKE gehen wir Bündnisse mit eigenständigen Gruppen ein, um gemeinsam mehr zu werden. Wir stehen im Austausch mit Sozialverbänden, Mieterverbänden, der Klima-Allianz oder der Flüchtlingshilfe. Mit denen zusammen wollen wir die Große Koalition richtig unter Druck setzen. Der Koalitionsvertrag ist nicht in Stein gemeißelt.

Kipping: Eine Linke, die die Gesellschaft verändern will, sollte im beständigen Austausch mit den klugen kritischen Köpfen stehen. Auch deshalb suchen wir immer wieder den Austausch mit kritischen Köpfen aus Wissenschaft und Kunst wie Frigga und Wolf Haug, wie Chantal Mouffe, Didier Eribon, Thomas Ostermeier und vielen anderen. Kürzlich habe ich mich mit Jeremy Corbyn, dem Chef der Labourpartei, in London getroffen. Auch wenn es uns schwer fällt nachzuvollziehen, wie man immer noch in der SPD sein kann, so sollten wir nicht übersehen, dass es auch in der SPD engagierte Menschen wie Kevin Kühnert gibt.

Kevin Kühnert, der eine Erneuerung der Partei in der Opposition wollte und dann zur Wahl von Nahles aufgerufen hat, die Mitregieren wichtiger findet?

Kipping: Wir reden ja nicht nur mit Leuten, die zu 100 Prozent unsere Meinung teilen. Mich hat auf jeden Fall gefreut, wie deutlich Kevin Kühnert Andrea Nahles kritisiert hat, als sie in der Flüchtlingsdebatte rechte Deutungsmuster bedient hat.

Kevin Kühnert bestätigt die Zweifel aller Wähler, die der SPD den Rücken gekehrt haben, weil diese am Ende etwas anderes tut, als sie versprochen hat.

Riexinger: Wenn Leute wie Kühnert versuchen, die SPD von innen zu verändern, dann ist es nicht meine Aufgabe das zu verurteilen. Als LINKE richten wir Angebote an alle. Etwa mit unserer Kampagne gegen Pflegenotstand. Ein bisschen Vertrauen in die Entscheidungskraft der Menschen muss schon sein. Es geht nicht immer alles nur nach einem selbst.

Der Leitantrag definiert die LINKE als Teil der Bewegung von unten. Ist es nicht vielmehr Problem der LINKEN, als Teil des Systems wahrgenommen zu werden?

Kipping: Wir unterbreiten mit unserem Leitantrag den Vorschlag, dass die LINKE als Partei in Bewegung agiert. Das heißt erstens, in Verbindung zu sein mit den Vielen, die jetzt schon aktiv sind. Sei es in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen oder wenn Seawatch Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet. Partei in Bewegung sein heißt zweitens, sich selber weiterzuentwickeln und drittens, in der Gesellschaft etwas in Bewegung zu setzen. Wir wissen natürlich, dass es leichter ist, etwas durchzusetzen, wenn der Zeitgeist auf deiner Seite ist. Und wenn es andere Mehrheiten gibt in der Gesellschaft und im Parlament.

Je größer die parlamentarische Mehrheit, desto kleiner gewöhnlich die Umwälzung. Und umgekehrt gilt es auch. Radikal sind immer die Machtlosen.

Kipping: In Hessen, wo wir eine großartige Landtagsfraktion haben, ist die Abschaffung der Studiengebühren ein Beispiel, wie Parlamentarisches und Außerparlamentarisches zusammenspielen kann. Es gab eine Zeit in Deutschland, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, da stand in fast jedem Bundesland die Einführung von Studiengebühren bevor.

Und wenn sich da die Linken hingesetzt und gesagt hätten, oh was machen wir jetzt – Parlamentswahlkampf oder Bewegung, dann wären wir heute nicht weiter. Es ist gelungen Druck aufzubauen – durch den Einsatz der Linken im Parlament in Hessen und durch eine lebendige Studienbewegung. Die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen war
bundesweit der Startschuss gegen Studiengebühren im Sinne der gebührenfreien Bildung.

Riexinger: Wir kämpfen für unsere Ziele auf der Straße und in den Parlamenten. Ich sehe da keinen Widerspruch. Es stehen gerade Wahlen vor der Tür. Wir wollen in Bayern in den Landtag reinkommen, wir wollen in Hessen eine wichtige Fraktion bleiben. Es geht um eine doppelte Aufgabe. Wir sind im Bundestag Oppositionskraft. Und wir machen gleichzeitig auf der Straße mit anderen Akteuren zusammen Druck. Das ist doch beste linke Tradition.

Eine soziale Offensive für alle ist möglich und finanzierbar, sagen Sie. Je gewaltiger das Ziel, desto ferner ist es.

Riexinger: Warum so pessimistisch? Aufgabe der LINKEN ist es aufzuzeigen, dass diese Gesellschaft für alle Lebensmöglichkeiten bietet. Da muss man sich aber schon trauen, an die Reichen und Vermögenden ranzugehen. Wer sich das nicht traut, muss sich damit abfinden, dass unten die Reste verteilt werden. Unser Ansatz ist, den Leuten deutlich zu machen, dass es einen anderen Weg gibt als den, die Ausgegrenzten gegeneinander kämpfen zu lassen.

Kipping: Es gibt eine Obergrenze, über die ich sehr gerne sprechen würde: eine Obergrenze für Reichtum. Und ich würde sagen, das große Problem dieser Gesellschaft ist die Konzentration von immensem Reichtum und Macht in den Händen einiger weniger. Auf einer gewissen Stufe gerinnt Reichtum direkt in Macht und das wird undemokratisch. Und deswegen brauchen wir die Debatten über einen Höchstlohn. Wir haben einen Mindestlohn durchgesetzt, der muss gestärkt und verbessert werden. Zugleich muss jetzt durchgesetzt werden, dass in Unternehmen das höchste Einkommen nicht mehr als das Zwanzigfache des untersten Einkommens betragen soll.

Im Leitantrag findet sich das Plädoyer für offene Grenzen, aber nicht mehr die Formulierung »offene Grenzen für alle Menschen«. Ist das eine Relativierung?

Kipping: Nein. Unsere Flüchtlingspolitik besteht aus einem Dreiklang. Fluchtursachen abschaffen, eine soziale Offensive für alle und drittens der Einsatz für Rechte von Geflüchteten, und dazu gehört der Einsatz für legale Fluchtwege. Offene Grenzen sind unsere Alternative zum tödlichen Grenzregime Frontex an den EU Außengrenzen.

Die Arbeitsmigration wird im Leitantrag ausgeklammert. Auch der Einwanderungsgesetzentwurf ostdeutscher Politiker ist nicht benannt.

Riexinger: Wir führen eine Debatte darüber, welches Leitbild von Integration wir als LINKE wollen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich die Lebensbedingungen für Geringverdiener verbessern, wenn Zuwanderung begrenzt wird. Das Kapital organisiert immer Konkurrenzkampf. Kernbelegschaft gegen Leiharbeiter, Leiharbeiter gegen Erwerbslose, Erwerbslose gegen Migranten. Bei dem Spiel, die Ängste der Beschäftigten gegen Migranten zu richten statt gegen die herrschende Politik, machen wir nicht mit.

Rührt ein Teil der Schärfe der Debatte vielleicht daher, dass dabei gern der Vorwurf des Nationalismus erhoben wird?

Riexinger: Ich bin dagegen, solche Vorwürfe zu erheben. Wir haben eine Debatte, die öffentlich stattfindet, und der Parteitag wird sich inhaltlich dazu positionieren. Das ist seine Aufgabe.

Kipping: Am Ende muss der Parteitag entscheiden. Und wer dann die Position der Partei vertritt, muss das tun können, ohne dass er als neoliberal beschimpft wird.

Sie spielen auf Oskar Lafontaine an, der sagt, offene Grenzen seien eine Forderung der Neoliberalen. »Eine LINKE, die für offene Grenzen eintritt, aber sich an Abschiebungen beteiligt, wenn sie mitregiert, ist nicht glaubwürdig.« Das sagt er auch.

Kipping: Das Problem ist, dass man auf Landesebene nicht die Bundesregelung außer Kraft setzen kann. Man kann ja leider auch Hartz IV auf Landesebene nicht außer Kraft setzen. Man kann jedoch die Spielräume ausreizen und ein anderes Zeichen setzen. Das erwarten wir auch von unsere Landespolitikern sowohl in Opposition wie in Regierung. Die LINKE muss den Unterschied machen. Und während der sächsische Ministerpräsident der CDU gegen den Islam hetzte, hat Bodo Ramelow als linker Ministerpräsident sehr klar gesagt, der Islam gehört zu Thüringen.

Sahra Wagenknecht hat im nd-Interview gesagt, »eine Partei, in der es ständig Streit und interne Reibereien gibt, wird nicht gut geführt«.

Riexinger: Man muss etwas genauer hinschauen. Ich bin viel in der Partei unterwegs. An vielen Orten gibt es eine deutliche Aufbruchstimmung. Vor dem Parteitag nächste Woche haben wir auf Regionalkonferenzen in ganz Deutschland mit unseren Mitgliedern diskutiert. Eine Partei, die nicht über Inhalte diskutiert, ist wenig lebendig. Als Vorsitzender begrüße ich deshalb, wenn Debatten in der Sache mit Leidenschaft geführt werden. Seit den Bundestagswahlen gibt es inhaltliche Kontroversen in der Partei, zu der es beim Parteitag einer inhaltlichen Richtungsentscheidung bedarf. Mein Verständnis von innerparteilicher Demokratie ist, dass gefasste Beschlüsse von allen respektiert werden.

Kipping: Der Leitantrag ist einmütig verabschiedet worden.

Riexinger: Ohne Gegenstimme. Da hatten wir schon andere Zustände.

Die Basis zeigt auch wenig Verständnis für Machtkämpfe an der Spitze. Wäre der Parteitag nicht die Gelegenheit für eine sichtbare Versöhnung?

Kipping: Die Deutung, das sei ein Machtkampf, ist falsch. Es gibt Kontroversen in der Sache. Das ist legitim, und die müssen inhaltlich entschieden werden. Am Ende entscheidet ein Parteitag. Ich bin sehr dafür, dass wir nach der inhaltlichen Klärung die internen Konflikte beilegen und uns auf die große gesellschaftliche Auseinandersetzung konzentrieren. Aktuell läuft nämlich eine Auseinandersetzung darüber, was nach dem Neoliberalismus kommt: Völkischer, autoritärer Populismus oder eine solidarische Alternative. Unsere Aufgabe ist es die linke, solidarische Alternative so stark wie möglich zu machen.

Die Kandidatur von Jörg Schindler wird von einigen als Kampfansage empfunden. Wäre hier nicht die Möglichkeit gewesen, ein personelles Zeichen der Versöhnung zu setzen?

Riexinger: Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum das eine Kampfansage sein soll. Er kandidiert bisher als einziger Kandidat für die Geschäftsführung, ist stellvertretender Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, im Sprecherrat der Sozialistischen Linken, spielt schon seit Jahren in der Partei eine konstruktive Rolle. Eine Konsultation mit der anderen Seite wäre vielleicht hilfreich gewesen.

Kipping: Das entscheidende Kriterium sollte doch sein, ob jemand für ein Amt geeignet ist. Natürlich ist der Parteitag der Souverän und entscheidet.