nd-aktuell.de / 01.06.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 10

Tschechische Fernfahrer klagen deutschen Mindestlohn ein

Mit Unterstützung deutscher Gewerkschaften setzen osteuropäische Lkw-Fahrer ihnen zustehenden Lohn durch, doch in ihrem Herkunftsland wird das nicht nur begrüßt

Kilian Kirchgeßner

Bei einer Verkehrskontrolle kam der Fall ins Rollen: Auf einer deutschen Autobahn hielten Polizisten den tschechischen Lastwagenfahrer Jiri Gabrhel an - und fragten ihn bei der Gelegenheit, wie hoch sein Stundenlohn sei. Zu niedrig, wie er jetzt weiß. Gabrhel ist in seiner Heimat eine Art Symbolfigur des Widerstands geworden und bereitet nach einer außergerichtlichen Einigung vor dem Bonner Arbeitsgericht tschechischen Spediteuren in Sachen Mindestlohn ernsthafte Sorgen. »Die Polizisten drückten mir ein Flugblatt in die Hand, auf dem stand, dass ich Anspruch auf den deutschen Mindestlohn habe. Da standen auch die Telefonnummern von deutschen Gewerkschaftern dabei«, berichtete Gabrhel. Die beklagte Firma erklärte sich vor dem Verhandlungstermin beim Arbeitsgericht Bonn bereit, ihm nachträglich mehr als 10 000 Euro als Entschädigung für entgangenen Lohn zu zahlen - ein Fall, der Schule machen könnte.

Für Stanislava Rupp war das ein Durchbruch. »Seitdem melden sich bei mir immer neue Fahrer, um ihren Fall zu schildern«, sagt sie. Rupp arbeitet in Stuttgart beim Projekt »Faire Mobilität«, das der DGB ins Leben gerufen hat. Mit ihren Kollegen unterstützte sie die Klage von Gabrhel: »Wir bieten Rechtsberatung im Arbeits- und Sozialrecht an.« Sie und ihre Kollegen sprechen die Sprachen der mittel- und osteuropäischen Länder, aus denen viele der Fernfahrer kommen. Die Gewerkschaften kündigen an, nach dem Urteil im Fall Gabrhel vom Frühjahr jetzt rasch die nächsten Klagen folgen zu lassen.

Hintergrund ist eine Regelung, die seit 2015 gilt, als der deutsche Mindestlohn eingeführt wurde: Sobald ausländische Lastwagenfahrer die deutsche Grenze überschreiten, gilt auch für sie der deutsche Mindestlohn - unabhängig davon, wo sie ihren Hauptwohnsitz haben oder wo ihre Spedition angesiedelt ist.

Das bringt ein Geschäftsmodell unter Druck, das sich in der Logistikbranche längst eingebürgert hat: Deutsche Firmen beauftragen Speditionen aus dem Ausland, die Fahrer zu niedrigen Lohnkosten einstellen. Manche von ihnen touren wochenlang mit wechselnder Fracht durch Westeuropa, bevor sie für kurze Zeit zu ihren Familien in Mittel- oder Osteuropa zurückkommen.

»Bei uns gilt ein Mindestlohn von rund 73 Kronen pro Stunde, das sind etwa drei Euro«, sagt Lubos Pomajbik. Er ist Vorsitzender der tschechischen Transportgewerkschaft mit Sitz in Prag. Oft kommen noch Spesen oder Bonuszahlungen dazu, die allerdings bei Krankheit nicht bezahlt und nicht für die Rente angerechnet werden. Natürlich sei das zu wenig, stellt Pomajbik fest. Er sieht die Schuld allerdings weniger bei den Speditionen als bei den westeuropäischen Kunden: »Was da läuft, finde ich unehrenhaft. Sie verlangen von den tschechischen Spediteuren eine schriftliche Bestätigung, dass sie ihren Fahrern den deutschen Mindestlohn auszahlen und drücken zugleich so auf den Preis, dass die Speditionen das Geld für den Mindestlohn gar nicht haben.«

In Tschechien mehren sich die Stimmen, die sich kritisch zu den Mindestlohnklagen in Deutschland äußern. Der Prager Verkehrsminister Dan Tok etwa merkte nach dem Urteil im Fall Gabrhel an: »Die deutschen Gewerkschaften haben das sehr geschickt gemacht: Dieser Präzedenzfall führt dazu, dass in Deutschland niemand mehr eine tschechische Speditionsfirma beauftragt.«

Auch Gewerkschaftschef Pomajbik befürchtet Nachteile: »Bei den Kunden aus Deutschland, Frankreich und den anderen Ländern ist die Nachfrage nach dem günstigsten Transport gewaltig. Wenn die tschechischen Spediteure den deutschen Mindestlohn zahlen, versuchen die Rumänen und Bulgaren, in die Lücke vorzustoßen, was uns natürlich nicht gefällt.« Er wünscht sich ein gemeinsames europäisches Vorgehen statt individueller Mindestlöhne in jedem einzelnen Transitland: »Dann würden sich die Scheren schließen.«

Stanislava Rupp hält dem entgegen, dass für alle die gleichen Bedingungen herrschten, wenn sich die Speditionen auch wirklich an den deutschen Mindestlohn hielten. Sie wolle den Druck aufrechterhalten. In einigen gut dokumentierten Einzelfällen wolle man noch im laufenden Jahr Klage einreichen, damit auch diese Fahrer den Mindestlohn zugesprochen bekommen. epd/nd