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Linke Geldpolitik und die EZB

Wolfgang Krumbein über das fortschrittliche Steuerungspotenzial der Notenbanken

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Herr Krumbein, die Notenbanken haben mit ihrer Niedrigzinspolitik infolge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 viele Kritiker auf den Plan gerufen. Und zwar von rechter, liberaler und linker Seite. Zu Recht?

Zu Unrecht. Die Niedrigzinspolitik war überall zur Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise notwendig. Heute ist sie mindestens in Europa und Japan weiterhin unverzichtbar. Das übersehen viele Kritiker. Man muss allerdings beachten, dass sich die Kritik nicht nur gegen die Niedrigzinspolitik wendet. Für Rechte und mehr noch Liberale ist es untragbar, dass die EZB Markteinflüsse auf die Zinsbildung umgeht. Für dieses Lager spielt insgeheim aber noch die Verletzung eines spezifischen Interesses eine Rolle: Die niedrigen Zinsen machen eine Geldanlage in sichere Staatsanleihen unattraktiv. Das war jahrzehntelang für große Teile der Begüterten - weniger der kleinen Leute - die bevorzugte Anlageform. Anders muss man die linke Kritik beurteilen.

Zur Person
Wolfgang Krumbein war Professor für Politikwissenschaften an der Universität Göttingen mit den Schwerpunkten Regionalentwicklung, Staatstheorie und Standortdebatten. Seine letzten Publikationen sind: »Finanzmarktkapitalismus? Zur Kritik einer gängigen Kriseninterpretation und Zeitdiagnose« sowie »Staatsfinanzierung durch Notenbanken! Theoretische Grundlagen, historische Beispiele und aktuelle Steuerungschancen« (beide Metropolis-Verlag). Guido Speckmann sprach mit Wolfgang Krumbein über letzteres Buch.

Sehen wir da näher hin. Viele Linke verdammen die ultralockere Geldpolitik. Woran liegt das?

Ihnen ist die EZB als solche höchst suspekt. Das liegt maßgeblich an der Beteiligung der EZB an der unsäglichen Griechenlandpolitik der EU. Die Kritik daran ist auch völlig berechtigt. Was dabei aber übersehen wird, ist die Innovationskraft der EZB-Politik rund ums Geld. Sie hat historisch niedrige Zinsen eingeführt, insbesondere aber auch mit der indirekten Staatsfinanzierung durch den Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt große fortschrittliche Pflöcke eingeschlagen. Die Kritik von linken Theoretikern - weniger von politischen Praktikern - an dieser neuen Geldpolitik ist weitestgehend unbegründet, die EZB-Politik wird inhaltsleer zum Beispiel als »irre« abqualifiziert.

Michael Schlecht, ehemaliger wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, hat die EZB-Politik als irre bezeichnet, weil »sie versucht, einen Brand mit heißer Luft zu löschen.« Warum ist diese Kritik unbegründet?

Aus drei Gründen. Erstens geht Schlecht wie viele andere linke Theoretiker immer noch von einer ultraorthodoxen Kapitalismus-Theorie aus, in der die Produktionsseite allein maßgeblich ist. Die Austausch- und Geldseite sei demgegenüber sekundär. Mit einer solchen These kann man die Totalität des heutigen Kapitalismus analytisch nicht erfassen. Und zweitens macht die EZB viel mehr als nur Griechenlandpolitik. Immer wieder wird übersehen, dass in der neuen Geldpolitik, speziell dem Aufkauf von Staatsanleihen, ein riesiges Steuerungspotenzial schlummert, das im Rahmen einer alternativen Wirtschafts- und Sozialpolitik von großem Nutzen sein könnte.

Könnten Sie ein Beispiel für dieses Steuerungspotenzial nennen?

Geld ist vielleicht sogar das zentrale Steuerungsmittel. Heute wird dieses Steuerungsmittel in der allseits verfolgten Sparpolitik gezielt knapp gehalten, was dazu dient, mittels Kürzungen Macht und andere Ressourcen zugunsten der Reichen umzuverteilen. Es ginge aber auch anders: Man könnte Geld dazu nutzen, öffentliche Investitionen zum Beispiel in Bildung zu finanzieren und eine ökologisch ausgerichtete Industriepolitik zu betreiben.

Und der dritte Grund?

Im Hintergrund spielt glaube ich eine Rolle, dass viele Linke unausgesprochen die Befürchtungen des Mainstreams teilen, dass der massenhafte Aufkauf von Staatsanleihen langfristig inflationär wirken wird. Das aber ist ein Mythos.

Wieso das?

Hohe Inflationsraten, etwa über acht Prozent, entstehen nicht durch die bloße Aufblähung des Geldumlaufs und der EZB-Bilanz, sondern nur in einer spezifischen und eher seltenen Konstellation, in der ein kräftiger konjunktureller Aufschwung mit ausgelasteten Kapazitäten, hohem Lohnwachstum, geringer Arbeitslosigkeit und gegebenenfalls auch Währungsabwertungen zusammenfällt.

Aber die expansive Geldpolitik der Notenbanken führt doch zu einer Inflation - und zwar zu einer Vermögenspreisinflation. Aktien, Anleihen und Immobilien werden immer teurer. Birgt das nicht die Gefahr einer Blase, die platzen kann?

Tja, das ist nicht so einfach. Die Vermögenspreise steigen keineswegs nur oder hauptsächlich wegen der expansiven Politik der Notenbanken. Sie steigen fast immer in Zeiten konjunktureller Aufschwünge. Und in den letzten Jahrzehnten kommt hinzu, dass die Reichen auch durch die Umverteilung von unten nach oben immer mehr Kapital zur Verfügung hatten, das sie zum Beispiel in Aktien angelegt haben. Natürlich birgt dies die Gefahr von Blasen in sich. Diese Gefahr würde allerdings auch ohne die neue Notenbankpolitik gegeben sein. Blasen hat es immer gegeben und in der heutigen Zeit, in der Geld und Kredit immer wichtiger werden, wird es sie tendenziell immer extremer geben.

Sie vertreten in Ihrem Buch die These, dass Notenbanken mit einer anderen Geldpolitik eine linke Politik initiieren können. Wie das?

Dass Notenbanken hier allein initiieren könnten, glaube ich nicht, das wäre zu viel verlangt. Man sollte stattdessen von einer maßgeblichen Mitwirkung der Notenbanken an einer umfassenden alternativen Wirtschaft-, Sozial-, Industrie- und Geldpolitik sprechen. Von einer solchen Makropolitik haben sich die kapitalistischen Länder in den letzten 30 Jahren immer weiter entfernt, mit verheerenden Folgen für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung. Eine gut vernetzte Makropolitik könnte dem ein Ende setzen und einen alternativen Entwicklungspfad initiieren. Ohne Notenbanken ginge so etwas heute nicht mehr. Sie sind die mächtigsten Einrichtungen im großen Feld der Wirtschaftspolitik.

Wie könnte das konkret aussehen? Welche Aufgaben könnten zum Beispiel die Regierungen, welche die Notenbanken übernehmen?

Zentral wäre es, das heutige Nebeneinander oder sogar Gegeneinander von Regierungen und Notenbanken zu überwinden. Man muss sich mit noch anderen Institutionen wie zum Beispiel Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Ökoeinrichtungen und so weiter auf gemeinsame Politikziele und deren Umsetzung verständigen.

Sie sagen, dass eine andere Geldpolitik zusammen mit einer anderen Makropolitik sogar Momente eines Verlassens der kapitalistischen Produktionsweise enthalten kann. Das müssen Sie erläutern.

Es geht darum, das Wertgesetz oder vereinfacht gesagt, die Marktlogik, nicht mehr allumfassend wirken zu lassen. Man wird diese alte kapitalistische Steuerungslogik nicht schnell abschaffen können, aber man kann Elemente von Bewusstheit in das System einführen. Damit meine ich wirkungsvolle und zielbestimmte politische und soziale Eingriffe in die wesentlichen Systemabläufe. Ohne gute Steuerungsinstrumente geht das nicht. Eine neue Makropolitik enthielte solche Steuerungsmöglichkeiten gerade dann, wenn die Notenbanken einbezogen würden. Man könnte immer mehr Elemente der Bewusstheit aneinanderfügen und so beginnen, die alte kapitalistische Logik zu verlassen.

Staatsfinanzierung durch Notenbanken - das gilt heute als Tabu. Stichwort Inflationsgefahr. Dabei gibt es Beispiele dafür, die, wie Sie schreiben, zu Unrecht vergessen wurden und die durchaus erfolgreich waren. Können sie ein Beispiel näher erläutern?

Nehmen wir Kanada. Dort finanzierte die Notenbank zwischen 1948 und 1975 zwischen 17 und 25 Prozent des Staatshaushaltes. Die Notenbank kaufte Staatsanleihen und behielt diese meist unverzinst in ihrem Depot. Der Staatshaushalt war ausgeglichen, die Inflationsraten entgegen allen Befürchtungen niedrig, weil es realwirtschaftlich keine Faktoren gab, die große Preissteigerungen hätten verursachen können. Was mir wichtig ist - auch wegen der Bedeutung für die oben angesprochene Makropolitik: Die Notenbank finanzierte eine sogenannte Entwicklungsbank, die gezielt günstige Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergab. Auch in Japan gab es eine solche enge Verzahnung von Geldpolitik und Industriepolitik. Und immer war diese Politik höchst erfolgreich in puncto Wirtschafts- und Sozialentwicklung. Große Wohlstandsgewinne waren zu verzeichnen.

Wenn diese Politik so erfolgreich war, warum wurde sie beendet?

Einmal, weil konzeptionell der monetaristische Wahn um sich griff. Man richtete die Geldpolitik an Geldgrößen aus, nicht an gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen. Und zweitens hielt man relativ geringe Inflationsraten von unter fünf Prozent für untragbar und antwortete mit einer extrem restriktiven Geldpolitik. Insgesamt muss man den grundsätzlichen Wandel in der Notenbankpolitik Kanadas einordnen in den überall festzustellenden großen Machtzuwachs des Neoliberalismus und den damit verbundenen Umverteilungszielen von unten nach oben.

Und wieso sind diese Beispiele in Vergessenheit geraten?

Niemand hatte bisher ein Interesse an der Aufarbeitung früherer Notenbankpolitiken. Ich kann das zum Beispiel in Bezug auf die Bundesbank gut verstehen. Ihr liegt viel daran, ihre dogmatische Grundeinstellung, die insbesondere gegen die Staatsfinanzierung durch Notenbanken gerichtet ist, als unabdingbar darzustellen. Historische Beispiele, dass diese Finanzierung extrem erfolgreich war, passen nicht ins Konzept, und so gibt die Bundesbank hier auch keine Auskünfte bei Anfragen. Bei Linken ist das auch hier anders. Man hat sich für das Thema generell nicht interessiert und daher auch mit historischen Beispielen gar nicht erst beschäftigt. Ein großer Fehler!

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