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  • Gleichheitsparade in Warschau

Für mehr als Toleranz

Sexuelle Minderheiten haben es in Polen bei ihrem Kampf um rechtliche Gleichstellung weiter schwer

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Bürgermeisterkandidat in Warschau Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform (PO) spricht von einem homophoben Klima in Polen. Er warnt davor, dass die Gleichheitsparade verboten werden könne, wenn sein konservativer Kontrahent Patryk Jaki die Kommunalwahlen gewänne. Dieser meint: »Unter meiner Leitung wird Warschau weiterhin eine offene Weltstadt bleiben. Ich werde Schwulendemos nicht verbieten, doch selbst nicht daran teilnehmen. Jeder darf privat sein, wie er will, aber ich werde ideologische Kundgebungen nicht unterstützen.«

Anfang Juni sind abermals Tausende Menschen aus Polen und dem Ausland nach Warschau gekommen, um bei der »parada równości« (Gleichheitsparade) für die Rechte von homosexuellen Menschen zu protestieren. Seit dem Amtsantritt der nationalkonservativen Regierung im Herbst 2015 habe sich laut den Veranstaltern des Demonstrationszuges die Situation verschlechtert. »Wir sind in Europa auf dem vorletzten Platz, was Homophobie angeht, das ist beschämend. Die aktuelle Regierung versucht, Schwule und Lesben systematisch einzuschüchtern«, sagt der Politiker Robert Biedroń, Bürgermeister von Słupsk und der wohl bekannteste bekennend homosexuelle Amtsträger in Polen.

Mehrere Abgeordnete der rechtspopulistischen Partei PiS haben laut Biedroń homosexuelle Menschen als »gesellschaftlich nutzlos« bezeichnet. »Die Konservativen operieren bewusst mit Vorurteilen und Feindbildern«, so Biedroń. Viele homosexuelle Menschen in Polen erlebten Mobbing und sogar physische Angriffe. Andererseits ist auch ein gesellschaftlicher Wandel zu verzeichnen: Bei den Parlamentswahlen 2011 sind mit der Partei »Ruch Palikota« auch LGBTIQ-Aktivisten in den Sejm eingezogen, darunter auch Robert Biedroń selbst. Heute wird der 42-jährige linke Politiker als der neue »polnische Macron« gefeiert, die »Palikot-Bewegung« jedoch ist politisch gesehen tot.

Im kommunistischen Polen herrschte eine gänzlichen Entkriminalisierung von sexuellen Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen. Im Vergleich mit der deutschen, britischen oder US-amerikanischen war die polnische Gesetzgebung damals ausgesprochen progressiv. Dennoch war das Leben homosexueller Paare in Polen unangenehm, denn ihre Orientierung wurde im Alltag pathologisiert oder tabuisiert. Es war eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die das kommunistische Regime mit der katholischen Kirche verband. »Die Polen haben Homosexuelle jahrhundertlang toleriert. Sie wurden nicht geliebt, aber auch nicht verschmäht oder Opfer der Sittenpolizei«, sagt der Schriftsteller Bronisław Wildstein.

Die emanzipatorische Selbstbehauptung polnischer Homosexueller richtete sich damals folglich weniger gegen das Gesetz, sondern kämpfte für die Anerkennung und für ein würdiges Leben.

Denn in diesem Aspekt geht es alles andere als tolerant zu, auch in der polnischen Rechtsprechung: Es gibt in Polen kein Recht auf eine eingetragene Lebenspartnerschaft, keinen Paragrafen im Strafgesetzbuch, der eine Person vor homophob motivierten Straftaten schützt und auch kein Antidiskriminierungsrecht.

Genau dies wird alljährlich bei den Gleichheitsparaden eingefordert – auch Heirats- und Adoptionsmöglichkeiten für sexuelle Minderheiten. Denn nicht nur die aktuell Regierenden halten sich in dem Fall bedeckt. In der »liberalen« Vorgängerregierung stießen Themen wie Heirat und Adoption im Kontext mit homosexuellen Paaren stets auf heftige Kontroversen. Die öffentliche Debatte entzündete sich vornehmlich an der Adoptionsfrage und spaltet auch heute die nun in der Opposition sitzende Bürgerplattform. Der aktuelle PO-Vorsitzende Grzegorz Schetyna ist zwar in der Sache weniger konservativ als dessen Vorgänger Donald Tusk, aber ebenso ein ausgekochter Taktiker, der mit seiner Meinung über Ehen und Adoptionen für alle laviert, um den konservativen Parteiflügel nicht zu verprellen. Zum Zünglein an der Waage könnte die polnische Linke (SLD) werden, die sich offen für LGBTIQ-Rechte einsetzt. Doch bisher hält sich ihr Einfluss noch in bescheidenen Grenzen.

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