nd-aktuell.de / 23.06.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 8

Mit besseren Daten gegen den Krebs

Onkologen sprechen angesichts innovativer Therapien von der Neuvermessung ihres Fachs

Ulrike Henning

»Innovationen in der Onkologie«, so lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe, die am Freitag nach drei Auflagen in Heidelberg zum ersten Mal in Berlin stattfand. Die Krebsforscher und -fachärzte sehen jede Menge therapeutischer Neuerungen, es geht gar um eine »Neuvermessung der Onkologie«. Zudem sehen die Beteiligten des interdisziplinären Symposiums auch die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass die Innovationen bei allen Patienten ankommen. Das wiederum macht offenbar mehr finanziellen Spielraum nötig. Die Rechnung lautet, dass für bis zu 40 Prozent der Bundesbürger Krebs in Zukunft die Todesursache sein wird, aber bisher nur sechs Prozent der deutschen Gesundheitsausgaben für die Behandlung der Krankheitsgruppe ausgegeben werden - trotz ständig neuer Nachrichten von überteuerten Medikamenten.

Zusätzliches Geld wird unter anderem gebraucht, um gute klinische Studien öffentlich zu fördern. Der Bund investiert bereits eine Milliarde Euro pro Jahr, vor allem in Grundlagenforschung. Die hat hierzulande und auch international in den letzten 20 Jahren eine »Explosion von Wissen in der Onkologie« gebracht, wie Bernhard Wörmann erklärt. Der Internist ist an der Berliner Charité tätig und medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Die Forschungsergebnisse gelangen jetzt nach und nach in Form neuer Medikamententypen in die Praxis.

Allerdings gebe es inzwischen nicht mehr »den« Krebs, sondern je nach befallenem Organ immer mehr molekular definierte Untergruppen, so Wörmann. Die Folge sind unterschiedliche Prognosen für Verlauf und Heilungschancen, aber auch verschiedene Therapieansätze. Der größte Durchbruch sei bei der Behandlung von Lungenkrebs mit neuen Medikamenten gelungen, die das Immunsystem ansprechen. Es gebe Patienten, die mit Metastasen fünf bis sieben Jahre überlebten. Die Immunonkologie ist für Wörmann kein Hype, sondern hat ihre evolutionäre Phase. »Allein für verschiedene Formen von Lungenkrebs haben wir acht verschiedene Behandlungsstrategien.«

Die Differenzierung steht aber noch am Anfang - und hat ihren Preis. Systematisch und sorgfältig müssen neue und alte Therapien ausgewählt und kombiniert werden. Auch dafür sind Studien nötig. Umso größer die Vielfalt der Tumoren, desto mehr Daten fallen an. Als erfolgreich bestätigte Therapien erreichen aber nicht alle Patienten. Das ist für Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg eins der Felder, in die investiert werden muss: »Datenmangel und Kommunikationsfehler betreffen jedes Jahr immer noch Tausende Patienten«.

Die große Herausforderung besteht auch darin, die Patientendaten der Patienten zusammenzuführen und so Therapien passgenauer zu machen. Das betrifft selbst eine der eher klassischen Behandlungsformen von Krebs, die Chirurgie. Hier ist es immer noch wichtig, dass Operateure ihren Sinnen vertrauen, etwa einen Tumor ertasten oder mit dem bloßen Auge Gewebeoberflächen sehen, erläutert Lena Maier-Hein. Die Informatikerin leitet die Abteilung für computerassistierte Interventionen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Sie spricht von einer chirurgischen Datenwissenschaft, die gerade entwickelt wird.

Dazu gehört, dass mit Hilfe dreidimensionaler CT-Aufnahmen schon jetzt unter Oberflächen geschaut werden kann. Neuartige Kontrastmittel bringen Tumore zum Leuchten und ermöglichen präzisere Eingriffe. Zur Verbesserung der Chirurgie könnte es künftig möglich sein, noch mehr Daten zu speichern und auszuwerten, etwa die Filmaufnahmen minimalinvasiver Eingriffe. Das geschehe noch nicht systematisch. Dazu dürfte auch der gegenwärtige Rückstand deutscher Krankenhäuser bei der Digitalisierung beitragen. Wird hier investiert, ließen sich in Zukunft die unter anderem im DKFZ erforschten Technologien leichter umsetzen.

Weiterer Nachholbedarf besteht aus Sicht der Onkologen bei der Früherkennung. Es sei unverständlich, dass es in Deutschland kein zentrales Einladungsverfahren für eine Vorsorgekoloskopie zur Frühentdeckung von Darmkrebs gebe. Insgesamt sollten die Vorgaben zur Früherkennung neu bewertet und aktualisiert werden.