nd-aktuell.de / 26.06.2018 / Politik / Seite 6

Machtkampf auf dem Rücken der Flüchtlinge

Bundeskanzlerin Merkel sieht nach EU-Sondergipfel ein »großes Maß an Gemeinsamkeit«

Gabi Kotlenko

Nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums am Montag in Berlin sagte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die CDU habe keinen Plan für eine Ausdehnung nach Bayern in der Schublade. Sie setze weiter auf eine Einigung mit der Schwesterpartei im Asylstreit. Die Gemeinschaft mit der CSU sei für die CDU ein hohes Gut, versuchte sie die Wogen zu glätten. Allerdings gebe es an der CDU-Basis Kopfschütteln über den Kurs der Christsozialen und Unverständnis »für die eine oder andere verbale Eskalation der vergangenen Tage«. Zur Entschärfung der Regierungskrise hat Kramp-Karrenbauer einen »Pakt zur Steuerung und Ordnung der Zuwanderung und schnellen Integration« gefordert. Darin könnten die Vorstellungen von Innenminister Horst Seehofer (CSU), die Ergebnisse von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf europäischer Ebene sowie Ansätze der SPD etwa zur Verfahrensbeschleunigung einfließen.

Das CDU-Präsidium habe Merkels Kurs für europäische Lösungen unterstützt. Die Migration nach Deutschland und Europa müsse angemessen und mit Blick auf die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft gesteuert werden, damit sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole. Kramp-Karrenbauer betonte - offensichtlich mit Blick auf das CSU-Ultimatum -, dass es in erster Linie um eine Entscheidung der CDU-Spitze gehe, bei der man »sich nicht von außen bestimmen lässt«. Im Asylstreit verlangt die CSU von Merkel bis 1. Juli einen europäischen Ansatz, um das Weiterwandern von Flüchtlingen innerhalb der EU zu unterbinden.

Merkel hatte am Sonntag an einem Sondergipfel der Europäischen Union zu Migration und Asyl in Brüssel teilgenommen. Staats- und Regierungschefs von 16 EU-Staaten haben versucht, die tiefen Gräben in Europas Flüchtlingspolitik zu überbrücken. Bei dem Treffen hat Merkel unter den beteiligten Ländern »ein großes Maß an Gemeinsamkeit« ausgemacht. Die »gute Debatte« solle in den kommenden Tagen fortgesetzt werden, sagte sie nach dem vierstündigen Treffen. Gar nicht erst erschienen waren die Staaten der Visegrad-Gruppe - Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen. Das überraschte nicht, denn diese Länder setzen auf Abschottung und würden ihre Grenzen am liebsten mit hohen Mauern versehen. Sie lehnen seit Jahren die von Brüssel angestrebte Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas ab.

Schützenhilfe bekommt die CSU mit ihren Drohungen im Asyl-Streit indessen von der FDP. Die sieht Merkel in Europa isoliert. »Sie ist keinen wirklichen Schritt vorangekommen«, sagte Generalsekretärin Nicola Beer am Montag mit Blick auf das Treffen der EU-Staaten am Sonntag. »Außenpolitisch und innenpolitisch herrscht inzwischen Eiszeit für Angela Merkel. Sie hat kaum noch Verbündete.«

SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sieht ihre Partei im Asylstreit der Union in keiner Vermittlerrolle. »Die Probleme zwischen CDU und CSU können wir nicht lösen«, sagte Nahles am Montag in Berlin. »Die müssen sie selber lösen. Das allerdings erwarte ich auch.« Alle Lösungen müssten mit der SPD dann in Übereinstimmung gebracht werden.

Indes warnte Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth vor verallgemeinernden Urteilen über Migranten und Flüchtlinge. »Hier helfen uns keine populistischen Schreiereien«, so der CDU-Landtagsabgeordnete bei der Vorstellung seines Jahresberichts am Montag in Dresden. »Ich will mich nicht daran gewöhnen, dass die gute Arbeit tausender ausländischer Fachkräfte, Ärzte, Wissenschaftler, Künstler oder Schulkinder durch einige Tatverdächtige und Täter sabotiert wird.« Die Akzeptanz von Ausländern in der Bevölkerung dürfe nicht verspielt werden.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hat von den EU-Staaten eine Einigung in der Asyl- und Migrationspolitik gefordert. Die neue Politik müsse den Bedürfnissen aller EU-Mitgliedstaaten gerecht werden und Flüchtlinge schützen, erklärte er am Montag in Genf. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR biete Unterstützung an. »Wir sind bereit, gemeinsam mit den europäischen Staaten eine Lösung zu entwickeln, die sowohl realistisch als auch prinzipientreu ist.« Die Lösung müsse auf Solidarität und Zusammenarbeit fußen und sicherstellen, dass Menschen in Seenot gerettet und an Land gebracht werden. Er verwies auf Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer, denen das Anlaufen europäischer Häfen verweigert werde. Solche Ereignisse gefährdeten sowohl das Leben der Betroffenen als auch die internationalen Übereinkommen über Seenotrettung.

Am Donnerstag und Freitag findet ein regulärer EU-Gipfel in Brüssel statt. Auf der Tagesordnung werden auch die Themen Asyl und Migration stehen. Bereits im Vorfeld ist die Stimmung zwischen Frankreich und Italien aufgeheizt. Italiens Innenminister Matteo Salvini nannte Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron arrogant. Der wiederum verbat sich von Italien Lektionen. Entzündet hatte sich der Schlagabtausch an der Weigerung der neuen rechten Regierung in Rom, Flüchtlingsschiffen das Anlegen in italienischen Häfen zu erlauben. Am Dienstag hat Macron eine Privataudienz bei Papst Franziskus. Schutzsuchenden Flüchtlingen allerdings wird der Beistand von »oben« nicht helfen.