nd-aktuell.de / 27.06.2018 / Kultur / Seite 14

1001 Kommentator*innen-Hasser*innen

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

Katja Herzberg

Das hat mit Fußball nichts zu tun«, ist ein beliebter Fangesang, wenn mal wieder Raketen in gegnerische Zuschauerblöcke fliegen oder ironisch über die Leistung des favorisierten Teams geurteilt wird. Trainer*innen und Spieler*innen gebrauchen den Ausspruch auch gern, wenn sie mit Schiedsrichter*innen oder dem noch gewöhnungsbedürftigen Videobeweis abrechnen. Spätestens seit Montagabend ist es aber an der Zeit, auch den 1001 Kommentator*innen-Hasser*innen bei Twitter das Bonmot entgegenzuschleudern. Während der letzten Spiele der Gruppe B ergoss sich in dem (a)sozialen Netzwerk wieder einmal ein Schwall der Beleidigungen über die Fußballreporter*innen des deutschen Fernsehens, der am Ranking der beliebtesten Sportarten in Deutschland zweifeln lassen muss. Diese Statistik wird mit großem Abstand von König Fußball angeführt. Doch wer wie ich während der Partien Portugal gegen Iran und Spanien versus Marokko in seiner Twitter-Timeline zu den Hashtags Neumann oder Réthy geriet, hätte die Kugel statt im Tor lieber im Gesicht einiger Nutzer*innen gesehen.

Beliebtestes Opfer der sogenannten Gemeinde: Claudia Neumann, die noch immer einzige Frau im Kommentator*innen-Team von ARD und ZDF. Seit 2003 begleitet sie die Frauen-Nationalmannschaft bei allen großen Turnieren als Live-Reporterin. Doch erst seit sie mit der Europameisterschaft 2016 auch bei den »richtigen Fußballern« mitreden darf, stehen ihre Leistungen unter besonderer Beobachtung. Während manche meinen, aus ihrer Analyse des portugiesischen Angriffsspiels rund um Cristiano Ronaldo raushören zu können, dass die studierte Sportwissenschaftlerin und Germanistin nicht einmal Kartoffelsuppe kochen könne (wer isst so etwas heute eigentlich noch freiwillig?), fragen andere - selbstverständlich ganz sachlich -, warum der/die gemeine Rundfunkgebühr-Zahler*in hinnehmen muss, dass Frau Neumann die WM »kaputtkommentiere«. Mit Sexismus habe das alles »natürlich« nichts zu tun. Schließlich gehörten auch die Kollegen Béla Réthy und Steffen Simon aus dem Dienst »entfernt«. Dass die Schwedin Hanna Marklund oder die Engländerin Vicki Sparks das Shitstorm-Schicksal Neumanns teilen, ist für jene kein Argument - allein schon, weil es voraussetzen würde, über den eigenen Tellerrand hinausschauen zu müssen.

Wie trostlos wäre das Leben dieser »Hater«-Community eigentlich, würde es den Live-Kommentar gar nicht mehr geben? Oder schlimmer noch: Wenn sich die Kurzmitteilenden aus ihrem Twitter-Gehäuse herausbegeben und mit echten Menschen sprechen müssen - die dann auch noch live, ihnen gegenüberstehend, mit einem unmissverständlichen Gesichtsausdruck und Gestik, antworten könnten? In der Blase, in der mensch sich nur entscheiden muss, auf wen an diesem Abend lieber eingedroschen wird, ist’s eben viel gemütlicher.

Wären da nicht die Störenfriede von »Frauenverstehern« und Humorist*innen wie Mario Basler. Die ClaudiaStattBela-Fans kommen sogar auf so wilde Ideen wie die, Neumann das WM-Finale kommentieren zu lassen. Revolution! Nein, doch eher Futter für die Trolle. Mein nächster Fußballabend findet ganz sicher ohne Twitter statt - gern auch ohne Live-Kommentar, Vuvuzelas oder royalistische Gesänge - im Stadion um die Ecke.

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