nd-aktuell.de / 27.06.2018 / Kultur / Seite 12

Der ewige Kampf um die Macht

Staatsoper Berlin: Harry Kupfer inszenierte Verdis »Macbeth«

Stefan Amzoll

Herrlicher Sommertag, begeisterte Kulisse. Ein »Event« mitten in Berlin. »Staatsoper für alle«, vorzügliche Idee, heißt die Neuheit. Auch Bundesprominenz war in die Arena gekommen. Draußen hatten sich Tausende auf dem Bebelplatz zwischen Kommode und Opernhaus versammelt, um auf dem Bildschirm nachmittags ein Konzert mit der Staatskapelle, am frühen Abend die Verdi-Oper auf der Videowand zu erleben. Daniel Barenboim leitete beides. Stolz präsentierte sich der Meister dem Publikum. Kaum war der Saal-Beifall verhallt, ging die »Macbeth«-Truppe nach draußen. Der Dirigent mitten in der Menge, Hand in Hand mit Anna Netrebko, die zuvor die grausame Lady Macbeth gesungen hatte, und Plácido Domingo, dessen Macbeth noch nach dem Blut seiner Kriege und Morde roch. Alle drei samt ihrem Gefolge schwelgten in den Wogen der Feier. Drinnen mörderischste Aktionen, Warnrufe, Schreie, dunkle Zukunft, draußen Licht, als wäre nichts gewesen. So geht es eben: Aus dem Auge, aus dem Sinn.

Die Italiener feiern freilich ihren Verdi ungleich mehr und anders. Ihnen gilt der Komponist als Nationalheld. Hierzulande wird der Italiener zwar fleißig gespielt, der nationale Krösus jedoch ist Richard Wagner. Allerdings nur bei der Elite. Nichts fürs Volk. Der »Macbeth« in der Staatoper, in allen Rollen vorzüglich besetzt, dauerte zweieinhalb Stunden. Gegen Wagner-Längen eine effiziente Zeit. Machtkämpfe laufen dort rigider und schneller ab als in der deutschen Romantik. Bei aller Stilisierung, Realismus ist gefragt. Und dem hat sich Harry Kupfer immer offen gezeigt. Das Opernkonzept des heute 83-jährigen unterscheidet sich zwar von dem des großen Walter Felsenstein, dem er viel verdankt, aber der eine blieb in seinen Arbeiten so sehr Realist wie der andere. Souverän gebietet Kupfer über den Stoff. Dieser »Macbeth« in der italienischen Übersetzung von Carlo Rusconi rührt, vom Regisseur nicht anders zu erwarten, klar an den heutigen Unbilden in der Welt. Die Uniformen der Mächtigen stehen für Feldherrnart (Kostüme Yan Tax). Die Hintergründe zeigen kaputte Fassaden schräg aufragender alter Herrscherhäuser. Flammen lodern, Zeichen für Tod und Zerstörung, mitführend gleichsam die Rauchwolken in Libyen und Syrien. Vorn Hochbürgerlichkeit. Mannshoch, gitterförmig die doppelte Drehtür, davor Sofa und Sessel in Weiß, vorzugsweiser Sitz der stechend farbig ausstaffierten Lady Macbeth. Schwarz und Rot dominieren. Im Kontrast zu den Aufbauten die schwarzen Oberflächen der Böden. Sie wechseln je nach Lage zwischen schmutzig und blank (Bühne Hans Schavernoch).

Im Anfang steht das Schlachtfeld. Die Heerführer König Macbeth und Duncan sonnen sich darin, in einer blutigen Schlacht Schottland vor den Norwegern bewahrt zu haben. Weiber eilen herzu. Hexen. Die einen betrauern die Leichen, die anderen fleddern sie. Ihr Orakel, chorisch adressiert an die Militärs: Macbeth werde König werden, Banquo aber der Vater kommender Könige. Die erste Prophezeiung müsse sogleich verwirklicht werden, lässt Lady Macbeth ihrem Manne wissen, und der geht in die Spur. Erst den einen, dann den nächsten, der im Wege steht. Die Mordspur eskaliert.

Daniel Barenboim ermöglichte Kupfer, mit großen Stars der Oper zu arbeiten: wie genannt, Anna Netrebko und Plácido Domingo. Beide liegen altersmäßig 30 Jahre auseinander, Domingo ist jetzt 77. Ein ältlicher, sängerisch erstaunlich stabiler Herr also als »Macbeth«, was die Rolle unerhört interessant macht. Junge Heißsporne eigenen sich nicht, ein Land zu führen, eher dazu, fremde Reiche zu plündern.

Domingos Bewegungen dauern in der Aufführung. Machtvoll sind des Sängers Tonfälle so gut wie ohnmächtig. In der Defensive, die er selber herbeisingt, versagt ihm gar die Stimme. Als das Volk seinen blutig errungenen Königsruhm ausgelassen feiert (Chöre Martin Wright), droht Plácidos Macbeth zusammenzubrechen. Die Mordtat an dem schlafenden Duncan frisst an ihm um so mehr, je sonorer, geifernder, verzweifelter, erschöpfter seine Stimme. Die Rolle, groß gespielt, ist voller Skrupel. Noch verzweifelter sein Ausdruck, als ihm die Geister erscheinen.

Die Netrebko ist als Lady Macbeth die Drahtzieherin, die Intellektuelle der jähen Jagd nach Macht. Sie trainiert ihren Mann aufs Schlimmste hin, sie löckt in ihm den Stachel, beschimpft das Versagen des Gatten. Obwohl wahnhaft zu allem fähig, trifft auch sie der Schlag immanenten Argwohns gegen die eigene Schande. Sie braucht keine Wasserschüssel, um sich Blut an den Händen, den Seelenschmutz, die eigene Schamlosigkeit abzuwaschen, sie versucht es singend. Vergeblich freilich. Einzigartig hier die langgedehnte Arie der Netrebko. Dem Wahn verfallen, stirbt sie. Militarisiertes Volk sammelt sich zuletzt hinter Macduff in Gestalt der »Wald von Birnam«-Aktion. Macduff verletzt Macbeth im Kampf. Der verflucht die Krone, die ihm soviel Ungemach gebracht, schmeißt sein Gehänge zu Boden, das sofort wieder Streitobjekt ist. Der Kampf um Macht geht weiter.

Nächste Vorstellungen: 29. Juni, 2. Juli, Staatsoper, Unter den Linden 7, Mitte