Mit Adleraugen und Radarohren

Johanna Romberg weiß um das Glück, Vögel zu beobachten

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.

Plü-pli-plü jubiliert die Haubenlerche im Juni vor dem Dorfhäuschen in der Nähe von Lüneburg. Sie nistet in einer der Wiesen am Rande der Siedlung, etwa 500 Meter vom Haus entfernt. Zusammen mit Hänflingen und Goldammern bevölkert sie eine Baubrache zwischen Wiesen und Wohnhaus. Dort fressen sich die Vögel regelmäßig an den Samen der Wildkräuter satt, die während eines Baustopps üppig emporgeschossen sind. Jetzt aber sind die Arbeiten wieder im Gange, und die Tierchen werden sich neue Futterstellen suchen müssen.

Johanna Romberg kennt den Gesang der selten gewordenen Lerchenart und muss nicht auf ihr griffbereit liegendes Fernglas zurückgreifen. Sie ist eine Vogelexpertin, obgleich ihr der Begriff nicht zusagt. Sie bezeichnet sich lieber als Hobbyornithologin.

Alles fing mit einem Kinderfernglas und einem Vogelbestimmungsbuch an. Johanna Romberg bekam beides von ihren Eltern in die Hand gedrückt, als sie gerade einmal sechs Jahre alt war. Vielleicht war das nicht ganz uneigennützig gedacht, denn das Wandern mit einem kleinen Kind kann anstrengend sein, wenn es nicht ebenso großen Spaß daran hat wie die Erwachsenen. Es musste eine spannende Aufgabe bekommen. In diesem Falle klappte es. Aus der Anregung von Mutter und Vater wurde eine Passion.

Es dauerte gar nicht lange, da fragte man Johanna um Rat, wenn ein Vogel zu hören oder zu sehen war. Sie lag meistens richtig. Ein Grünspecht, sagte sie trocken, als die Eltern ein vertrautes Gekicher in den Lüften nicht erkannten. Und das war nicht nur richtig, sondern auch ein Triumph gegenüber den allwissenden Eltern, erinnert sie sich später.

»Seit 52 Jahren gehe ich kaum einen Tag vor die Tür«, schreibt die Wissenschaftsjournalistin, »ohne automatisch den Himmel zu scannen, auf Vogellaute zu horchen.« Sie sitzt in ihrem Garten geduldig auf einer Decke und wartet mit Adleraugen und Radarohren auf seltene Zaungäste, deren Anblick sie immer wieder erfreut, berührt, ja betört. Auf dem Weg zur Arbeit beobachtet sie durch die Windschutzscheibe Formationen von Wildgänsen, bei Spaziergängen hat sie immer ein Fernglas dabei und auf Reisen stets ein Bestimmungsbuch der jeweiligen Region.

Romberg beobachtete Vögel im Stadtpark ihrer Heimatstadt im Ruhrgebiet, in der Savanne von Südafrika, in Alaska oder im ältesten Naturschutzgebiet Deutschlands in Brandenburg. Sie lässt die Leserin, den Leser teilhaben an ihrem Weg zur Hobbyornithologin, die sich nicht mit dem Sehen und Hören zufriedengibt, sondern mehr wissen will.

Vor allem berichtet sie über die Entwicklung der Tiere der Lüfte und über die Zusammenhänge zwischen den menschlichen Eingriffen in die Natur und deren Auswirkungen auf die Vogelwelt.

Warum gibt es immer weniger Kiebitze? Weshalb verschwanden in den vergangenen dreißig Jahren 421 Millionen Vögel aus den Feldern, Wäldern, Dörfern und Städten Europas und damit ein Drittel des gesamten Bestandes? Was befähigt die Ringeltaube dazu, sich immer und überall den Umweltbedingungen anzupassen? Warum singt die Nachtigall auf einem Berliner Schulhof? Wieso sind die Heckenbraunellen - sowohl Männchen als auch Weibchen - die schärfsten Feger der Vogelwelt? Warum gibt es so viele Begriffe über die Laute der Vögel, dass ein Lexikon darüber entstanden ist? Und verstehen sich Zwergsumpfhuhn, Habichtskauz, Steinrötel, Specht und Drossel untereinander?

Ehe sich solche Fragen auftun, will ein Vogel jedoch erkannt sein. Wer selbst ausprobieren möchte, die zwitschernden Himmelsstürmer zu identifizieren, dem sei gesagt, wie einfach es ist und wie wenig Hilfsmittel der Mensch dafür benötigt: Vogel sichten, Glas an die Augen heben, Vogel in Vergrößerung betrachten, Fernglas absetzen, Bestimmungsbuch aufschlagen, Vogel mit Abbildungen vergleichen und identifizieren. Was für ein Vergnügen!

Johanna Romberg: Federnlesen. Vom Glück, Vögel zu beobachten. Lübbe, 304 S., geb., 24 €.

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