nd-aktuell.de / 29.06.2018 / Kultur / Seite 15

Großartig!

Für Jogi Löw

Jürgen Amendt

Der irische Polarforscher Ernest Shackleton wollte vor rund 100 Jahren als erster die Antarktis durchqueren. Er scheiterte, sein Schiff wurde vom Packeis eingeschlossen und sank. Shackleton selbst aber kam wohlbehalten zusammen mit seiner ganzen Mannschaft nach gut zwei Jahren wieder in der Heimat an. Joachim Löw wollte als erster deutscher Bundestrainer einen WM-Titel im Männerfußball verteidigen. Er scheiterte …

Vor 20 Jahren gründete der Theater- und Filmregisseur Christoph Schlingensief die »Partei der Arbeitslosen und von der Gesellschaft Ausgegrenzten«. Ihr Wahlslogan lautete: »Scheitern als Chance!« Sie richtete sich an jene, denen von der neoliberalen Selbstoptimierungsideologie keine Chance gegeben wird. Den Slogan haben sich längst die Marketing- und PR-Propagandisten zu eigen gemacht, und er wird auf unzähligen Managerseminaren, Fortbildungen für sogenannte Führungskräfte, Staubsaugervertreterversammlungen etc. den Maschinisten der Verwurstungsindustrie eingetrichtert. Derzeit ist der Satz das inoffizielle Motto der Politik in Brüssel und der von Angela Merkel: »Wähle dich selbst!« - »Sei dir selbst der Nächste!« - »Wir schaffen das!«

In der Art des Scheiterns aber unterscheiden sich Shackleton, die Europäische Union, die deutsche, von CDU/CSU (noch) geführte Bundesregierung und Löw. Shackleton hatte vor seiner Expedition mit seinem Schiff, dem er in kluger Vorausahnung den Namen »Endurance« (»Ausdauer«!) gab, schon andere Antarktis-Missionen unternommen, die alle scheiterten. Er versuchte es immer und immer wieder - und wurde schließlich genau durch diese Hartnäckigkeit und seinen Trotz wider die permanente Niederlage bekannter als durch seine wissenschaftlichen Beiträge zur Antarktisforschung. Die EU und Merkel dagegen haben nichts Großes, Historisches zuwege gebracht; ihr Wirken war stets nur das Versprechen auf etwas Zukünftiges. Wenn sie stürzen, dann aus der Fallhöhe eines Schemels.

Joachim »Jogi« Löw aber ist ein Großer. Er kann von der Bühne abtreten mit der Gewissheit, Historisches geleistet zu haben. Vor vier Jahren wurde die von ihm trainierte deutsche Fußballnationalmannschaft als erstes europäisches Team auf dem amerikanischen Kontinent Weltmeister; das 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien war die höchste Halbfinal-Niederlage aller Zeiten - und jetzt ist er als erster deutscher Nationaltrainer mit seiner Mannschaft bei einem WM-Turnier bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Ein tiefer Fall - von großer Höhe! Großartig!