nd-aktuell.de / 02.07.2018 / Politik / Seite 8

Erster Angriff auf NATO-Gipfel

Donald Trump droht mit Abzug der US-Truppen aus Deutschland

René Heilig

Was die »Washington Post« aus dem US-Verteidigungsministerium Pentagon erfahren haben will, klingt noch unausgegoren, doch es ergibt Sinn. In einer internen Studie wird der Abzug eines Großteils der 35 000 US-Soldaten aus Deutschland erwogen. Mehrere Optionen liegen dafür auf dem Tisch. Man könnte die Masse in die USA zurückverlegen. Ami go home? Absurder Gedanke angesichts von Washingtons Global- und Anti-Russlandpolitik.

Wahrscheinlicher ist, dass man weitere Kampftruppen nach Osten und damit näher an die russische Grenze verlegen will. Die USA sind die Führungsnation der in Polen stationierten internationalen NATO-Truppe. Zusätzlich sind dort diverse US-Truppen mit permanenten »Übungsvorhaben« präsent. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Vor einigen Wochen war eine interne Studie des polnischen Verteidigungsministeriums bekannt geworden, laut der man eine gesamte US-Panzerdivision zur ständigen Stationierung nach Polen einlädt und mit zwei Milliarden US-Dollar für deren Unterhaltskosten aufkommen will. Das würde die Rolle Polens in der NATO extrem aufwerten. Mit Genuss würde die PiS-Regierung in Warschau Deutschland den Rang als größter Stationierungsort von US-Truppen außerhalb der Vereinigten Staaten ablaufen. Doch die Summe von zwei Milliarden US-Dollar, die das wirtschaftlich boomende Polen durchaus aufbringen könnte, wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Idee einer Truppenverschiebung hat angeblich US-Präsident Donald Trump selbst bei einem Treffen mit Militärberatern und Außenexperten des Weißen Hauses aufgebracht. Dass er nicht viel von den in der NATO üblichen Spielregeln hält, wo derartige Ideen wohl zuerst besprochen werden müssten, unterstrich er bereits mehrfach durch Alleingänge.

Mehr noch: Trump hatte die NATO in der Vergangenheit mehrfach als »überflüssig« bezeichnet. Jüngst forderte er unverblümt in einem Brief acht europäische Mitglieder des Militärbündnisses zu höheren Verteidigungsausgaben auf. Dabei ist für ihn die 2014 beim NATO-Gipfel getroffene Vereinbarung zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts die unterste Grenze.

Während ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats bestritt, eine Studie zu einem möglichen Truppenabzug aus Deutschland angefordert zu haben, sagte ein Kollege des Verteidigungsministeriums, dass die Stationierung von US-Truppen im Ausland regelmäßig einer »Kosten-Nutzen-Rechnungen« unterzogen wird.

Und gerade auf die Kosten werden jene verweisen, die für eine Beibehaltung des derzeitigen US-Stationierungskonzepts in Europa sind. Auch Trumps Berater wissen, dass der Kongress das Geld nicht für solche abenteuerlichen Trump-Allüren locker machen wird. In Deutschland besteht eine solide Infrastruktur für die US-Truppen. Zu verlegen wären sicher die US-Trainingseinrichtungen in Grafenwöhr und Hohenfels. Auch die in Bayern stationierte Kampfbrigade würde in Polen beste Bedingungen vorfinden. Anders ist das mit wichtigen, global bedeutsamen Stabseinrichtungen, die aus historischen Gründen im Kalten Krieg entstanden sind und die in mehrerer Hinsicht global zentral liegen. In Stuttgart ist das U.S. European Command und in Wiesbaden das Hauptquartier der U.S. Army Europe disloziert. Auch das US-Afrika-Kommando liegt in Deutschland. Die US-Air-Base in Ramstein ist auf lange Sicht unverzichtbar für Nachschub- und Drohneneinsätze in die arabische Welt und nach Afrika. Für die Versorgung der US-Truppen bedeutsam sind die Nordsee-Häfen sowie die von der Bundesrepublik bereitgestellten und per neuem NATO-Kommando gesicherten Nachschublinien in Richtung Osten. Dafür Ostseehäfen in Polen und Litauen einzutauschen, wäre aus strategischer Sicht ein militärisches Abenteuer. Wichtig ist auch der Eifel-Standort Büchel, wo US-Atomwaffen lagern, die eine Rückendeckung für die an die russische Grenze verlegten NATO-Truppen sind. In Landstuhl haben die US-Truppen überdies das größte Hospital außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes.

Es besteht also kaum Aussicht darauf, dass ein wichtiges Ziel der Friedensbewegung, die den Abzug der US-Truppen und insbesondere von deren Atomwaffen im Programm hat und die erst dieses Wochenende wieder mit 2500 Personen vor der Militärbasis Ramstein demonstrierte und diese zeitweise blockierte, aufgeht. Und was wäre schon gewonnen, wenn man das aktuelle militärische US-Potenzial in einem anderen europäischen NATO-Staat wieder aufleben ließe?

Wohl aber werden einige NATO-Mitgliedsstaaten den Weckruf verstanden haben und den USA Angebote unterbreiten, wie die ihre Kosten minimieren können. Über diesen Weg wäre auch Deutschland eher in der Lage, die jetzt bis 2024 zugesicherten »militärischen« 1,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt in die Nähe der verlangten zwei Prozent zu bringen. Das käme auch einer anderen Trump-Idee entgegen, der schon einmal munter darüber nachgedacht hat, die Europäer doch für den US-Schirm zur Kasse zu bitten.

Zugleich wird die Debatte über ein verändertes US-Stationierungskonzept jene Politiker bestätigen, die sich für eine stärkere Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einsetzen. Insbesondere Frankreich und Deutschland haben mit der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, kurz PESCO, da bereits wichtige Pflöcke eingeschlagen. Erst im November und Dezember vergangenen Jahres haben sie vor dem Europäischen Rat mitgeteilt, militärisch künftig intensiver gemeinsame Wege zu gehen. Was gleichfalls eine Steigerung der Rüstungsausgaben und keinesfalls mehr Frieden und Sicherheit in der Welt zur Folge haben wird.

Wie strategisch die angeblich von Trump angeregten Umstrukturierungspläne für die US-Truppen in Europa sind, bleibt abzuwarten. Gewiss besitzen sie ein Erpressungspotenzial, mit dem die USA beim kommenden NATO-Gipfel auftrumpfen können. Bei der NATO erinnert man sich noch mit Grausen an den ersten Auftritt des damals neuen US-Präsidenten. Trump hatte bei dem Treffen - statt sich wie erwartet zur Beistandsgarantie der NATO zu bekennen - mit scharfen Worten höhere Verteidigungsausgaben der europäischen Verbündeten verlangt. Allgemeines Kuschen war die Antwort. Und so könnte es am 11. und 12. Juli in Brüssel erneut sein. Als Erpresser auch von Verbündeten ist Trump unschlagbar - die angebliche Studie könnte ein probates Mittel sein.