nd-aktuell.de / 04.07.2018 / Politik / Seite 18

Wissenschaftler für den Geheimdienst

Der Fall «linksunten.indymedia» zeigt erneut: Aus Extremismusforschern werden gelegentlich VS-Mitarbeiter

Markus Mohr

Schon in der Gründungsphase von «linksunten.indymedia» war das Bundesamt für Verfassungsschutz an dem neu entstehenden Projekt interessiert. Auch in den laufenden Ermittlungen des Verbotsverfahrens gegen die Medienplattform ist die Expertise dieser Schnüffelbehörde gefragt. Die während einer Razzia bei Freiburger Aktivisten erbeuteten Dokumente wurden von der Polizei dem Bundesamt zur weiteren Auswertung überlassen. Einer der zuständigen Analytiker im Amt ist kein Geringerer als der promovierte Politologe Harald Bergsdorf. Beschuldigte des «Indymedia linksunten»-Verfahrens waren in den Akten auf seinen Namen gestoßen.

Schon als Beschäftigter des Landes Thüringen hat sich Bergsdorf in den frühen 2000er Jahren durch vielfältige Publikationen einen Namen gemacht. Er hat im dortigen Innenministerium zu einer Zeit gearbeitet, als der Thüringer Heimatschutz zum NSU transformierte. Er arbeitete dort noch, als die Fahndung gegen die drei flüchtigen Bombenleger aus Jena im Jahre 2003 ergebnislos eingestellt werden musste, kurz: das Innenministerium des Landes Thüringen kann für diese Zeit als Hexenküche gelten.

Passend dazu verwendete der 1966 geborene Bergsdorf seine intellektuellen Kapazitäten darauf, die Nazis so sympathisch wie die PDS erscheinen zu lassen: Aus seiner Sicht verharmlose die «linksextremistische» PDS den millionenfachen Judenmord der Nazis und arbeite «ähnlich wie rechtsextreme Ideologien - mit Sündenböcken und Verschwörungstheorien» (Gefährdungen der Freiheit, extremistische Ideologien im Vergleich). In einer weiteren Publikation lieferte er «Argumentationshilfen gegen die ›Linke‹ Lafontaines und Gysis». Bevor er im Bundesamt für Verfassungsschutz untergebracht wurde, war er noch ein paar Jahre als Lehrbeauftragter an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und als Leiter der «Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus» in Nordrhein-Westfalen tätig, die aus dem Bundesprogramm «Kompetent für Demokratie» finanziert wird.

Bergsdorf kann als eine exemplarische Figur für einen Typus von Extremismusforschern gelten, denen es in ihrer Vita mühelos gelungen ist, zwischen staatlichen Behörden, der Wissenschaft und Medien hin und her zu wechseln - und so die Grenzen zwischen Wissenschaftsfreiheit und beamtetem Verfolgungsauftrag zu verwischen. Diese Drehtür zwischen Innenministerium, Universität und Verfassungsschutz dreht sich aber auch andersherum, wie die Vita von Armin Pfahl-Traughber zeigt. Dieser arbeitete lange Jahre als Referatsleiter in der Abteilung Rechtsextremismus im Kölner Bundesamt, bevor er 2004 Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung wurde.

Wer sich als Extremismusforscher intensiv mit Nazis beschäftigt, erscheint allemal qualifiziert, auch zu den Autonomen Stellung zu nehmen. Im Jahr 2005 hatte Pfahl-Traughber in der Fachzeitschrift der Sicherheitsbehörden «Jahrbuch Extremismus & Demokratie» in einer Besprechung auf das unter dem Pseudonym «A. G. Grauwacke» publizierte Buch «Autonome in Bewegung» aufmerksam gemacht. Wohl nicht ganz zufällig wies er dabei zu Beginn auf die «strafrechtliche Dimension» der in dem Buch abgehandelten Inhalte hin. Und wie es der weitere Zufall wollte, waren bereits zu diesem Zeitpunkt die mutmaßlichen Buchherausgeber Objekte umfangreicher Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes. Diese mündeten schließlich am 9. Mai 2007 in einer bundesweiten Durchsuchungswelle unter anderem beim Umbruch-Bildarchiv in Berlin, beim Buchladen Schwarze Risse in Berlin oder im Archiv der sozialen Bewegungen in der Roten Flora in Hamburg.

Zu nennen ist auch die Vita des Dienstkollegen von Pfahl-Traughber - aus der gleichen Abteilung des Verfassungsschutzes - Martin Thein. Nachdem Thein im März 1997 in München an der zentralen Einsatzbesprechung mehrerer Geheimdienste zur Verwaltung des Thüringer Heimatschutzes teilgenommen hatte und 2008 bei Professor Werner Patzelt an der TU Dresden über die Entwicklung des militanten Neonazismus in der BRD promovierte - ohne dabei den Thüringer Heimatschutz zu erwähnen -, mutierte er zu einem «Fußball-Fan-Forscher». Für ein Buch kundschaftete er die Szene der Ultras aus. In einem 2012 im Clubraum der Ultra-Fangruppe «Commando Canstatt» des VfB Stuttgart geführten Gespräch fragt Thein in aller Unschuld: «Wer gibt das vor, was erlaubt ist? Die Führungsfiguren?» Und: «Erzählt mir doch mal was von eurem Verhältnis zur Polizei …»

Kurz danach, Anfang August 2012, machte die Nürnberger Fan-Organisation Schwarz-Rote Hilfe in einer Pressemitteilung darauf aufmerksam, dass die Polizei versuchte, einen V-Mann in der Nürnberger Fußballszene anzuwerben. Die Behörden scheuten keine Mittel, «um Unfrieden und Zwietracht in der Szene zu säen». Die Organisation warnte vor weiteren Anwerbeversuchen. Auch in anderen Ultra-Szenen in der Bundesrepublik wurden Anwerbeversuche der Behörden für Innere Sicherheit bekannt, zum Teil nachdem sie vom «Fanforscher» Thein Besuch erhalten hatten.

Quasi am Beginn seiner Karriere als Fanforscher hatte Thein Anfang November 2011 in «Welt online» einen interessanten Hinweis für sein Engagement gegeben: Er halte die Unterscheidung zwischen Ultras als Initiatoren farbenfroher Choreographien und gewaltbereiten Hooligans teilweise für überholt: Zwar seien Ultras «häufig eher links, haben linke Positionen, Ideale und stellen sich gegen Faschismus», allerdings lebten sie insbesondere «bei Auswärtsspielen eine »gewaltaffine Einstellung« aus. Wohl wahr: Links und »gewaltaffin«, diese Mischung sehen die Behörden für innere Sicherheit gar nicht gerne.

Welche Sozialwissenschaftler haben schon die Möglichkeiten wie die Extremismusforscher? Diese können auf einen ganzen Fundus von Material zugreifen, das geheimdienstlich und oft am Rande oder jenseits der Legalität gesammelt wurde. Unwissenschaftlich und intransparent erhoben, weder verifizierbar noch falsifizierbar und für den offenen wissenschaftlichen Diskurs meist nicht freigegeben - es erübrigt sich, hier von Wissenschaft zu sprechen.