nd-aktuell.de / 14.07.2018 / Kultur

Wurzeln statt Fahnen

Der ehemalige BE-Intendant Fritz Marquardt wäre 90

hds

Er war knorrig, vertrackt, listig. Er stand in jeder Landschaft so, dass die sich fremd vorkam. Obwohl der eingefleischte Fremde doch er selber war. In den Argumenten seines stillen Zweifelns konnte man sich verlaufen wie in einem dunklen kalten Wald. Er kam nicht aus den schwarzen Wäldern wie sein geliebter Brecht, für den er, zu unbrechtisch aufgeladenen frühen DDR-Zeiten, geradezu militant focht. Fritz Marquardt kam aus dem Warthebruch. Der große deutsche Regisseur wollte Förster werden. Das Leben an der freien Luft kam für ihn zu DDR-Zeiten nur im geschlossenen Raum der Theater zustande. Atemschöpfen bei den Dichtern.

Ein großer Regisseur war er, weil er auf eine sehr erdige, brummig unverzagte Weise bei den Wurzeln blieb und nicht den fliegenden Fahnen nachrannte. Er siedelte künstlerisch zwischen dem leichten Geist eines George Tabori und den schweren Metaphern eines Heiner Müller. Dorfschule, nach dem Krieg dann Landarbeiter, Traktorist und Bauhilfsarbeiter. Die ABF war für ihn die Feier einer großen Chance, aber er nahm sie auch als Ort einer anderen Erfahrung wahr: als Schule der Indoktrinierung, als pressendes Erlebnis der politischen Charakterstauchung. Er schrieb darüber eine Erzählung (»Widder im Dornbusch«), das bleibt erschütternde deutsche Literatur.

Er redigierte »Theater der Zeit«, bekam im Henschel-Verlag ein Parteiverfahren, weil er Tragelehns »konterrevolutionäre« Studenten-Inszenierung der »Umsiedlerin« von Müller nicht verurteilen wollte, er saß in Archiven - also: Bevor dieser schmächtige, knochige Mann, schon über vierzig, seine großen Berliner Volksbühnen-Jahre als provozierender Künstler erlebte, war er bereits von Umwegen geledert, war imprägniert mit Gelassenheit. Am Berliner Ensemble der Nachwende-Zeit führte er Regie bei Stücken Seidels, Ibsens, Barlachs, Horváths, O’Caseys. Seine Arbeiten besaßen eine fordernde, bildhauerische Poesie, die Aufführungen schmiegten sich nirgends an, sie warfen sich in kein Mitgefühl und kein heißes Pathos. Das Schweigen zwischen den (insgesamt wenigen) Inszenierungen gehörte mit zum Werk, das alles moderne Leben ins bleibend Archaische verlängerte. Fritz Marquardt, der 1928 geboren wurde und 2014 starb, wäre am Sonntag 90 Jahre alt. hds