Nie ganz fertig geworden

Hans Fallada korrespondiert mit den Schwestern und schreibt der Mutter einen letzten Brief

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 4 Min.

Nun würde alles anders werden. Mit ein paar Mark in der Tasche und dem Vorsatz, endlich sein Leben in den Griff zu kriegen, lässt Rudolf Ditzen im Frühjahr 1928 nach zwei Jahren Haft das Gefängnis in Neumünster hinter sich. Kein Alkohol mehr (er trinke nur noch morgens und abends Tee, versichert er der Mutter), keine Drogen, kein Griff mehr in fremde Kassen. Er lässt sich nach Hamburg bringen, wo ihn keiner kennt, kehrt dann aber doch ins öde Neumünster zurück, sucht mühsam nach einer Beschäftigung, die ihm den Unterhalt sichert, hält sich als Abonnentenwerber über Wasser, schließt sich den Guttemplern an, einem Orden von Abstinenzlern, und am Ende des Jahres nimmt er sich vor, auch die abgebrochene Beziehung zu den Schwestern und ihren Familien zu erneuern.

Am 20. Dezember schreibt er zwei Briefe, einen an die ältere Elisabeth (Ibeth), den anderen an Margarete (Dete). Er wünscht ein schönes Weihnachtsfest und bittet, »wenn auch noch nicht zu vergeben und zu vergessen, mir doch noch ein letztes Mal eine Möglichkeit zu geben. Ich habe mich in den letzten Jahren geändert, und ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr es noch einmal mit mir versuchen wolltet.« Sein Geschick, schreibt er, habe eine gute Wendung genommen, er sei glücklich, werde sich durchbeißen, und er hofft, dass man seine Briefe »nicht ganz ablehnend, wenn auch vorläufig nur abwartend« aufnimmt.

Die ausgestreckte Hand wird nicht zurückgewiesen. Am Neujahrstag 1929 antwortet Lieblingsschwester Ibeth, sie werde dem Bruder die Daumen halten und »lieber nur an die Zukunft denken«. Von da an reißt der Kontakt nicht mehr ab. Bis zum Tod des Schriftstellers, der sich seit 1920 Hans Fallada nennt, wechseln die Geschwister über tausend Briefe, von denen Fallada-Sohn Achim 376 in einem Band vorstellt, der unter dem Titel »Ohne Euch wäre ich aufgesessen« zum 125. Geburtstag seines Vaters jetzt, zum 125. Geburtstag Falladas, im Aufbau-Verlag erschienen ist.

Im Vordergrund Familiennachrichten, Sorgen, Ärgernisse, Geldprobleme, die Kinder, der schwierige Alltag, Schreibnöte und Glücksmomente, die geteilte Freude über Falladas Erfolge mit den Romanen »Bauern, Bonzen und Bomben« (1930) und »Kleiner Mann, was nun?« (1932), die Anteilnahme an seiner Arbeit.

Die Krise kommt schon mit dem nächsten Buch, »Wer einmal aus dem Blechnapf frisst«. »Was die Kritiken angeht«, schreibt Fallada Ende 1934, »so ist die ganze offizielle Presse sauschlecht, letzter Dreck usw., was ich geschrieben habe, ausrotten usw …« Vier Monate später die Mitteilung, dass sich an seinem Zustand nichts geändert hat: »Mal ein Tag gut, aber dann wieder Depressionen.« Allzu offenherzig aber wird er nicht. Die Streitereien mit seiner, auch von der Verwandtschaft geschätzten Frau Suse (Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Sohn des großen Verlegers, wird einmal sagen, Fallada habe sie »gebraucht wie der Säugling die Mutter«) behält er lieber für sich, und dass er längst wieder trinkt, mehr trinkt als je zuvor, in die Gastwirtschaft flüchtet, Geld abhebt oder sich bei Rowohlt von den häuslichen Querelen ablenkt, verschweigt er natürlich.

Für sein Elend, aus dem er nicht herausfindet, müssen Andeutungen genügen. Dann ist von Depressionen die Rede und dass es ihm wieder mal schlecht geht. Doch kaum ausgesprochen, geht es gleich wieder um andere Dinge, um Haus, Hof, Kinder und Vieh in Carwitz. Dass er ständig am Abgrund lebt und die Katastrophen in seinem Leben kein Ende nehmen, wissen nur die Kenner seiner Biografie. Aus diesen Briefen erfährt man es nicht. Auch wenn Suse, auf die er in einer dramatischen Auseinandersetzung geschossen hat, sich 1944 von ihm trennt, wird er die wahren Gründe der Scheidung unter pauschalen Mitteilungen (»Ich habe schwere Fehler begangen und Schuld genug auf mich geladen«) und einigem Selbstmitleid verstecken.

Nur einmal, ganz am Schluss des Bandes, in einem langen, von Achim Ditzen nachgereichten Brief an die Mutter (die bei Suse in Carwitz geblieben ist), hat Fallada sein Versagen eingeräumt. »Irgendetwas in mir«, schreibt er, zerstört vom verheerenden Drogenkonsum, am 22. Dezember 1946 aus einer Klinik im Norden Berlins, »ist nie ganz fertig geworden, irgendetwas fehlt mir, so dass ich kein richtiger Mann bin, nur ein alt gewordenen Gymnasiast, wie Erich Kästner mal von mir gesagt hat. Ich sage mir heute, dass es diese Zusammenbrüche nicht mehr geben darf, dass ich vernünftiger leben muss …«

Doch eine Zukunft gab es nicht mehr. Am 5. Februar 1947 ist Fallada gestorben.

Hans Fallada: Ohne Euch wäre ich aufgesessen. Geschwisterbriefe. Hg. von Achim Ditzen, Aufbau Verlag, 473 S., geb., 26 €.

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