nd-aktuell.de / 28.07.2018 / Reise / Seite 31

Giganten erweckten Loireinsel

Wo einst in Nantes Schiffe gebaut wurden, sind jetzt monumentale Maschinentiere unterwegs.

Axel Pinck

Merkwürdige Riesenwesen bevölkern die Flussinsel der Loire gegenüber der Innenstadt von Nantes. Das frühere Industriegelände auf der Île de Nantes war lange tot und unbeseelt. Jetzt sind die »Machines de l’île« die größte Besucherattraktion der französischen Stadt, noch weit vor dem wuchtigen Schloss der Herzöge der Bretagne und der benachbarten gotischen Kathedrale.

Langsam setzt sich das metallene Monstrum in Bewegungen. Die riesigen Beine langsam eines vor das andere gesetzt stampft es aus der großen Halle. Der Rüssel zwischen den beiden Stoßzähnen hebt sich, ein Trompetensignal macht auch die letzten Besucher des früheren Werftgeländes darauf aufmerksam, dass der Elefant unterwegs ist. Wer immer noch vor sich hinträumt, wird mit einer kräftigen Wasserdusche aus dem Rüssel geweckt. Zwölf Meter misst der mit einer hölzernen Haut verkleidete Riesendickhäuter, er ist mehr als doppelt so groß wie ein afrikanischer Elefant und über als 40 Tonnen schwer. In einer Art Kabine auf dem Elefantenrücken und in zwei überdimensionalen Satteltaschen genießen bis zu 50 Passagiere aus luftiger Höhe und leicht schwankend das Abenteuer und die erstaunten Blicke der anderen Besucher.

Angetrieben wird der mechanische »Grand Éléphant« von einem umfunktionierten Mähdreschermotor, gesteuert von einem Piloten in einem kleinen Cockpit zwischen den Vorderbeinen. Endstation »Carrousel de mondes marins«, alle absteigen. Doch gleich geht es weiter in das 25 Meter hohe, dreistöckige »Karussell der Wasserwelten«, in dem sich keine Pferdchen oder Feuerwehrautos, sondern drei Dutzend Seepferdchen, Kraken, Riesenhummer, Seeschlangen oder grausliche Fische und andere Meereskreaturen mit meist kindlichen Passagieren ihre Kreise ziehen, über imaginäre Wellen hüpfen oder mit Scheren und Flossen wackeln.

Noch vor gut zehn Jahren war die Loireinsel eine unansehnliche Industriebrache. Die Werften, das industrielle Herz von Nantes, waren demontiert, Schiffe wurden hier seit 1987 nicht mehr gebaut. Auch der Hafen für die großen Containerschiffe und Tanker war längst in das gut 50 Kilometer entfernte St. Saint-Nazaire an die Mündung der Loire gezogen. Pierre Orefice und François Delaroziere, einem Eventmanager und einem Bühnenbildner mit einigem Renommee, gelang es in dieser Situation tatsächlich, die Stadt zu überzeugen, das riesige Gelände gleich gegenüber der historischen Innenstadt für das gewagte Projekt der monumentalen Maschinentiere zur Verfügung zu stellen. Es gelang auf ganzer Linie und dem heruntergekommenen Hafenquartier und der ganzen Stadt wurde neues Leben eingehaucht. Stadtbewohner und Besucher strömen vor allem am Wochenende über die Loirebrücke »Pont Anne de Bretagne« auf die Insel. Bars, Restaurants, Live-Musik beleben die postindustrielle Szenerie. In der »Cantine de Voyage« einem weitläufigen Open-Air-Bistro sitzt man an langen Tischen, isst Coq au Vin, Hähnchen in Rotweinsoße mit Gemüse aus dem hauseigenen Urban Agriculture Projekt auf dem Parkplatz, trinkt dazu ein Gläschen trockenen Muscadet und schaut auf die dem Atlantik zustrebende Loire.

Jules Verne, der vor 190 Jahren in Nantes geboren und nahe dem geschäftigen Quai de la Fosse an der Loire aufgewachsen ist, hätten die ideenreichen Riesenspielzeuge sicher gefallen. Seine Fantasie scheint sich mit dem Universum der mechanischen Apparaturen von Leonardo da Vinci und der Industriegeschichte von Nantes in den in den früheren Werfthallen vereint zu haben. Und die Geschichte der »Machines de l’Ile« ist noch nicht zu Ende. In einer ausladenden Industriehalle mit einer »Galerie de Machines« hockt eine mechanische Riesenspinne in einem in den Betonboden geschlagenen Loch und erwacht zur gruseligen Freude der Zuschauer regelmäßig zum Leben. Ein Reiher mit einer Flügelspannweite von acht Metern bewegt sich mit einigen Passagieren in Bastkörben über den Besuchern der Halle, auf deren Boden eine überdimensionale Ameise krabbelt, alle gesteuert von einer ausgeklügelten Mechanik.

Von ersten Zeichnungen über kleine Modelle bis zum fertigen Maschinentier können Interessierte die Entwicklungsfortschritte verfolgen. Wie in einem Gewächshaus schlängeln sich Kletterpflanzen in die Höhe. Doch besser ist es näherzutreten, es könnten auch künstliche Gewächse sein. Schließlich wird gerade mit großem Aufwand das Zukunftsprojekt »Baum der Reiher« vorbereitet, eine Kunstwelt, mit Vögeln, Insekten, einem gigantischen Baum und Stegen für menschliche Besucher, die 2022 in einem stillgelegten Steinbruch westlich des Zentrums eröffnet werden soll.

Infos

Französisches Fremdenverkehrsbüro Atout france:
http://de.france.fr

Maschinentiere:
Geöffnet Dienstag bis Freitag, 14 bis 17 Uhr, am Wochenende bis 18 Uhr
www.lesmachines-nantes.fr/de/