nd-aktuell.de / 08.08.2018 / Politik / Seite 1

Bevölkerung sorgt sich um den sozialen Zusammenhalt

Wohlfahrtsverband fordert soziales Reform- und Investitionsprogramm / Rosenbrock: 12 Euro Mindestlohn und Stärkung der Arbeitslosenversicherung notwendig

Grit Gernhardt

»Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter« – mit diesem realitätsfernen Slogan machten die Grünen 1990 Wahlwerbung. Inzwischen reden alle vom Wetter, doch sollte nicht vergessen werden, dass der Klimawandel nur eines der aktuellen Probleme ist. Daran erinnerte Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des Jahresgutachtens seines Verbandes.

Die drängendste Frage ist für ihn der soziale Zusammenhalt in Deutschland. Er sei eine »wesentliche Grundlage für wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität und damit für den sozialen Frieden«. Deutschland ist allerdings laut den Erkenntnissen aus dem Jahresgutachten weit entfernt von sozialer Gleichheit, Teilhabe und Wohlstand aller. Zwar stieg 2017 die Zahl der Erwerbstätigen von 43,6 auf 44,3 Millionen. Doch mehr als ein Fünftel der Beschäftigten erhält nur einen Bruttostundenlohn von unter 10,50 Euro – und ist damit von Altersarmut bedroht.

Armut ist keine Schwäche
LINKE will den Begriff »sozial schwach« aus Bezirksämtern verbannen[1]

Auch Teilhabe ist schwer, wenn das Geld nicht für soziale Aktivitäten reicht.
Noch härter unter der gesellschaftlichen Ungleichheit leiden all jene, die keine Arbeit haben, obwohl sie gern eine hätten. Und das sind immer noch offiziell 2,32 Millionen Menschen – nicht mitgezählt jene, die aus verschiedenen Gründen aus der Statistik fallen oder sich aus Scham gar nicht erst arbeitslos melden. Zudem seien 7,86 Millionen Menschen (9,5 Prozent der Bevölkerung) auf Sozialleistungen angewiesen, so Rosenbrock. Sie seien von vielen gesellschaftlichen Aktivitäten von vorn herein ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu den Regierungsparteien, die sich derzeit fast ausschließlich um die Zuwanderungsfrage kümmerten, sei den Menschen im Land bewusst, dass soziale Ungleichheit den gesellschaftlichen Frieden gefährde, so Rosenbrock weiter. Bei der Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels stellte der Paritätische fest, dass sich rund 90 Prozent der Bundesbürger um den sozialen Zusammenhalt sorgen und zwar unabhängig davon, ob sie selbst von Armut betroffen sind. Das liege daran, dass fast alle Menschen in ihrem Umfeld mit sozialen Lagen konfrontiert seien, in denen Unterstützung nötig sei, sei es die Suche nach einem Kitaplatz oder die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger.

Existenzielle Entspanntheit
Über Menschen, die ein Jahr das bedingungslose Grundeinkommen erhielten[2].

Um für mehr sozialen Zusammenhalt zu sorgen, hat der Paritätische Forderungen an die Politik: Er verlangt einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zwölf Euro pro Stunde, die Erhöhung der Grundsicherung auf mindestens 571 Euro im Monat sowie eine Stärkung der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Soziale Einrichtungen wie Jugendtreffs, Beratungsstellen oder Stadtteilzentren seien die Basis des Gemeinwesens – sie müssten in gemeinsamer Anstrengung von Staat, Kommunen und Bürgern gestärkt werden.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1096465.begriff-sozial-schwach-armut-ist-keine-schwaeche.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1096263.grundeinkommen-experiment-existenzielle-entspanntheit.html