nd-aktuell.de / 14.08.2018 / Politik / Seite 10

Massendemonstrationen reichen nicht aus

CICIG-Chef Iván Velásquez über den Kampf gegen die Korruption in Guatemala

Martin Reischke

Sie wurden als Chef der »Internationalen Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Guatemala« (CICIG) zu einer Art Superstar. Der Grund: 2015 musste Präsident Otto Pérez Molina aufgrund der Korruptionsermittlungen der CICIG zurücktreten. Heute mehren sich die Stimmen, die Ihren Rückzug fordern, der aktuelle Präsident Jimmy Morales möchte Sie am liebsten aus dem Land werfen. Warum?

Seit die CICIG zusammen mit der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft im September 2016 begonnen hat, in einem Korruptionsfall gegen den Sohn und den Bruder des aktuellen Präsidenten zu ermitteln, hat sich das Verhältnis zu Jimmy Morales verschlechtert. Er ist offenbar nicht davon ausgegangen, dass wir diese Ermittlungen tatsächlich fortsetzen würden.

Der Konflikt mit Präsident Jimmy Morales ist persönlicher Natur?

Ich glaube, ja. Aber es gibt natürlich noch andere Akteure, die von den Untersuchungen der CICIG und der Staatsanwaltschaft betroffen sind, wie ehemalige hohe Staatsbedienstete, die bereits inhaftiert sind, oder Abgeordnete und Unternehmer, die sich vor möglichen Ermittlungen fürchten. Und die haben natürlich alle zusammen mit Jimmy Morales ein gemeinsames Interesse. Sie wollen, dass ich meinen Posten als CICIG-Chef räume, und am Ende geht es ihnen darum, dass die CICIG insgesamt aus Guatemala verschwindet. Aber das aktuelle Mandat der CICIG läuft noch bis September 2019.

Würde das mögliche Aus der CICIG nicht zu massiven Demonstrationen in Guatemala führen?

Ich glaube, dass die Zivilgesellschaft uns mit einer öffentlichen Petition unterstützen würde, damit wir unsere Arbeit weitermachen können. Außerdem gibt es einen anderen wichtigen Faktor, denn das kommende Jahr wird ein Wahljahr sein - es gibt Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, außerdem wird das oberste Gericht neu besetzt. Die Diskussion um den Verbleib der CICIG in Guatemala wird zum Wahlkampfthema werden.

2015 gilt als das Jahr, in dem die guatemaltekische Zivilgesellschaft erwacht ist. Hat es seit den Massendemonstrationen vor drei Jahren fundamentale Veränderungen im Land gegeben?

Dauerhafte und vor allem irreversible Veränderungen hat es bisher meiner Meinung nach noch nicht gegeben. Selbstverständlich haben wir im Kampf gegen die Korruption Schritte in die richtige Richtung gemacht. Außerdem gibt es spezifische Themen wie die illegale Wahlkampffinanzierung, wo es durch die strafrechtlichen Ermittlungen einen Kulturwandel gibt und die Finanziers vorsichtiger agieren als bisher. Aber wichtige Reformen wie zur Schaffung einer wirklich unabhängigen Justiz sind bisher nicht vorangekommen. Das liegt daran, dass es eine starke Gegenreaktion gibt, die in Guatemala auch als »Pakt der Korrupten« bezeichnet wird. Das sind die Unternehmer und Politiker, die sich von möglichen Untersuchungen bedroht sehen und die den Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaats deshalb immer wieder zu verhindern versuchen.

In einem Interview vor einigen Monaten haben Sie gesagt, die guatemaltekische Zivilgesellschaft könne zwar bestimmte Gesetze verhindern, die die Straflosigkeit schützen, allerdings habe sie nicht genug Macht, um eigene politische Projekte durchzusetzen. Warum ist das so?

Ich glaube, dass Guatemala einen Entwicklungsplan braucht, mit dem sich breite Teile der Bevölkerung identifizieren können, weil er ihnen bessere Lebensbedingungen bietet. Eine Grundlage dafür ist, dass der Kampf gegen die Straflosigkeit und die Korruption weitergeht. Aber damit das passieren kann, braucht das Land institutionelle und rechtliche Reformen. Massendemonstrationen erzeugen Druck und sind wichtig, aber sie reichen eben nicht aus, um den Staat von Grund auf neu zu gestalten.

Sollten sich zivilgesellschaftliche Gruppen wie JusticiaYa (Gerechtigkeit Jetzt), die die Proteste vor drei Jahren maßgeblich mitorganisiert haben, also in politische Parteien umwandeln?

Nicht unbedingt. Ich denke, dass das Wahlgesetz so umgestaltet werden sollte, dass zivilgesellschaftliche Gruppierungen auch im Parlament vertreten sein können, ohne dass sie sich in eine Partei verwandeln.

Aber das Wahlgesetz zu ändern, braucht Zeit und politischen Willen ...

Für die Wahlen 2019 kommt die Reform zu spät, aber das ist ein Thema, an das man jetzt schon denken muss. Wenn es 2019 nicht klappt, dann muss man es für 2023 angehen. Die Guatemalteken müssen neue Werkzeuge entwickeln, um den Staat transparenter gestalten zu können.

Die USA sind einer der wichtigster Geber der CICIG. Welches Interesse haben die USA am Kampf gegen die Korruption in Guatemala?

Zum einen wollen die USA genauso wie die internationale Gemeinschaft den Aufbau demokratischer Staaten unterstützen, zum anderen sind sie daran interessiert, dass sich die Lebensbedingungen der Guatemalteken in deren Heimatland verbessern.

... um so die Migration aus Zentralamerika in die USA zu bekämpfen. Gleichzeitig gibt es US-Politiker wie den republikanischen Senator Marco Rubio, die die CICIG scharf angreifen und behaupten, die Behörde vertrete russische Interessen und werde von Moskau manipuliert.

Es gibt aber auch die Gegenposition, das heißt, nicht alle republikanischen Abgeordneten und Senatoren vertreten die gleiche Linie. Es hat eine große Desinformationskampagne gegeben, die dazu geführt hat, dass einige Menschen glauben, Russland habe sich in die Ermittlungen der CICIG einmischt. Dazu kann ich nur sagen, dass Russland stets gegen internationale Mechanismen zur Bekämpfung der Straflosigkeit wie die CICIG gewesen ist, sie nie finanziell unterstützt hat. Russland hat ebenso wenig Einfluss auf die Ermittlungsarbeit wie Geberstaaten wie die USA oder die EU.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, bei der Bekämpfung der Korruption auf dem linken Auge blind zu sein und nur die rechte Oligarchie im Land zu bekämpfen.

Der Kampf gegen die Korruption kennt keine Ideologie. Wenn es keine inhaltlichen Argumente mehr gibt, dann wird stets versucht, die Ermittlungen zu delegitimieren, indem man behauptet, es handele sich um eine ideologische Verfolgung. Wenn das nicht hilft, behaupten die Kritiker, die Ermittlungen würden das Land in die wirtschaftliche Krise stürzen und die Verwaltung würde zum Stillstand kommen, weil es niemand mehr wagen würde, auch nur einen einzigen Vertrag zu unterschreiben, weil die Rechtssicherheit fehle.

Beim Thema Rechtsstaatlichkeit sind auch Unterstützer skeptisch. Sie fragen sich, warum Ex-Präsident Otto Pérez Molina und die Ex-Vizepräsidentin Roxana Baldetti drei Jahre nach ihrer Verhaftung noch immer nicht verurteilt sind.

Da stimmen wir zu. Wir wünschen uns schnelle Gerichtsurteile, denn sie sind ein Beweis für die Effektivität unserer Untersuchungen, und sie sind auch für die angeklagten Personen wichtig. Dass Otto Pérez Molina und Roxana Baldetti immer noch in Untersuchungshaft sitzen, ist für die Ermittlungsteams der CICIG und der Staatsanwaltschaft ein großes Pro-blem, weil sie immer noch an diesen Fall gebunden sind und sich und ihre volle Aufmerksamkeit nicht neuen Untersuchungen zuwenden können. Aber die Urteile werden von den Gerichten gesprochen, nicht von der Staatsanwaltschaft oder der CICIG.